Anschlag trifft Tschetschenien bis ins Mark

Moskau. Gerade hatte das tschetschenische Parlament die Sitzung eröffnet, da erschütterten Detonationen das Abgeordnetenhaus. Eilig brachten Wachleute die Mandatsträger in gepanzerten Fahrzeugen in Sicherheit, Sondereinheiten riegelten das Gelände ab. Nach rund zwei Stunden war der Horror vorbei

Moskau. Gerade hatte das tschetschenische Parlament die Sitzung eröffnet, da erschütterten Detonationen das Abgeordnetenhaus. Eilig brachten Wachleute die Mandatsträger in gepanzerten Fahrzeugen in Sicherheit, Sondereinheiten riegelten das Gelände ab. Nach rund zwei Stunden war der Horror vorbei. Das Selbstmordattentat mit mindestens sechs Toten und 17 Verletzten ist ein bitterer Rückschlag im Ringen um Frieden in der russischen Teilrepublik. Bisher galt Grosny als "sicherer Hafen" im Konfliktgebiet. Seit Jahren kontrollieren kremltreue Einheiten in der Hauptstadt jeden Schritt.Unmittelbar nach dem Anschlag war unklar, wie die mindestens drei Angreifer ohne Probleme bis in den dritten Stock des schwer bewachten Parlaments gelangen konnten. Von der Polizei in die Enge getrieben, sprengten sich die mutmaßlichen islamistischen Aufständischen dort in die Luft. Zuvor töteten sie mindestens zwei Polizisten und einen Zivilisten. Russlands Innenminister Raschid Nurgalijew sprach von einem Einzelfall, allerdings nahm das Blutvergießen im Nordkaukasus zuletzt wieder deutlich zu. Laut Generalstaatsanwaltschaft kam es seit Anfang Januar in Tschetschenien und umliegenden Teilrepubliken zu 38 schweren Anschlägen - das sind viermal so viele wie im gesamten Vorjahr.Die Bluttat von Grosny steht auch im krassen Widerspruch zum äußeren Schein in der Kaukasus-Metropole. Mit Geld aus Moskau lässt Republik-Chef Ramsan Kadyrow die während der beiden Tschetschenien-Kriege in Schutt und Asche gelegte Hauptstadt wieder aufbauen. Erst kürzlich taufte der Politiker mit dem Vollbart dort eine Fontäne nach Regierungschef Wladimir Putin. Ein Prachtboulevard trägt bereits den Namen des Ex-Kreml-Chefs. Auch ein neuer Staatssender mit Berichten über Literatur und Religion soll das Image der Region verbessern. Derzeit berichteten Medien negativ, kritisiert der Kreml-Beauftragte Alexander Chloponin.Taimuras Mamsurow, der Chef der Kaukasusrepublik Nordossetien, ist da skeptischer. Er glaube nicht an eine wesentliche Befriedung der Konfliktregion in den kommenden zehn Jahren, sagte er unlängst. Auch ein neuer Krieg im Nordkaukasus sei denkbar, falls sich die Lage nicht bald ändere. Mamsurow weiß, wovon er spricht: Anfang September starben bei einem Selbstmordanschlag in der nordossetischen Großstadt Wladikawkas 19 Menschen, 136 wurden verletzt. Das vorrangig von Christen bewohnte Nordossetien grenzt an das muslimisch geprägte Tschetschenien. Separatisten wollen im Nordkaukasus ein von Moskau unabhängiges "Emirat" herbeibomben. Es sind aber längst nicht nur russische Islamisten, die dem Kreml Kopfzerbrechen bereiten. Das Terrornetzwerk Al Qaida sei mittlerweile tief in die Konflikte im Nordkaukasus verstrickt, sagte Moskaus Sicherheitsrats-Chef Nikolai Patruschew vor kurzem bei einer internationalen Konferenz. Al Qaida bilde im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan Kämpfer aus und schleuse sie in die russische Konfliktregion. "Im Nordkaukasus werden die Aufrufe zum Sturz der Regierungen immer lauter", warnte Patruschew.

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