Anschauen, einfangen, anfassen

Fabienne hetzt panisch durchs Plastik-Terrarium. Ihr Körper ist so groß wie eine Haselnuss, schwarz-gelb-gemustertet ist er, ein Kreuz hat sie auf dem Kreuz. Sie tastet mit ihren acht Beinen die Ecken ab. Sucht sie Nahrung? Will sie ein Netz spinnen? Fabienne ist eine Kreuzspinne. Ich habe Angst vor ihr. Ich bin arachnophob, Spinnen versetzen mich in Panik. Ernsthaft.

 Eine solche Kreuzspinne jagt vielen Menschen Angst ein – mit Folgen wie Ekel und Brechreiz. Foto: Fotolia

Eine solche Kreuzspinne jagt vielen Menschen Angst ein – mit Folgen wie Ekel und Brechreiz. Foto: Fotolia

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Mir bleibt die Luft weg, als ich sie im Terrarium beäuge. Ich atme langsam ein und wieder aus, ich versuche, mich zu beruhigen. Dabei will ich nur weg von hier - und ihr. Doch neben mir steht Johanna Lass-Hennemann. Sie lässt mich nicht flüchten. Nicht aus Bosheit. Sie will mir helfen, will meine Spinnenangst behandeln: "Mit Hilfe einer Therapie", sagt sie. Dazu gehört die Konfrontation mit dem Panikobjekt. Zehn Prozent der Deutschen haben Angst vor Spinnen. Darunter sind 90 bis 95 Prozent Frauen. Ich bin ein Paradebeispiel. An meine Wunderheilung glaube ich nicht, zumindest ein wenig will ich aber Angst und Ekel vor diesen Tieren verlieren.

"Die Angst vor Spinnen ist ganz natürlich", sagt Lass-Hennemann. Für den Menschen sehe das Tier gefährlich aus. Lass-Hennemann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut der Psychotherapie der Saar-Uni. Sie hat sich selbst therapiert, hat keine Angst mehr vor Spinnen. Seither bietet sie Therapien für Menschen wie mich an. Der Ursprung der Angst liege oft in der Kindheit, sagt sie. Hat die Mutter Angst vor Spinnen, lehrt sie auch ihr Kind das Fürchten vor den Achtbeinern. Mit ihrem Verhalten. Unbewusst natürlich.

Ich soll jedem Tier einen Namen geben, das soll mich der Spinne näher bringen, sagt Lass-Hennemann. Spinnen seien auch nicht gefährlich. Zumindest hierzulande. Dort, wo sie gefährlich sind, haben übrigens weniger Menschen Angst vor ihnen als hier. Skurril. Und genau das muss in meinen Kopf: Spinnen im Saarland sind ungefährlich. An Fabienne habe ich mich langsam gewöhnt. Laut Lass-Hennemann habe ich den Punkt erreicht, an dem die Angst abnimmt. Mein natürliches Verhalten - vor der Spinne zu flüchten - war nicht möglich. Ich darf mich nicht ablenken und auch nicht den Blick von der Spinne abwenden. Der nächste Schritt: Mit einem Glas und einer Postkarte soll ich Fabienne einfangen, das Glas vor mein Gesicht halten, die Spinne anschauen, Blickkontakt halten, nicht der Konfrontation aus dem Weg gehen. Einfangen, freilassen, einfangen, freilassen. "Bis so etwas wie Routine entsteht", sagt Lass-Hennemann. Während ich Fabienne mit einem Glas einfange, bin ich noch ruhig. Auf einer Skala von eins bis 100 liegt meine Angst bei 50 Prozent. Akribisch kontrolliere ich, ob die Postkarte aufliegt. Sobald ich Fabienne gefangen habe, verspüre ich den Drang, das Fenster zu öffnen und die Kreuzspinne so schnell wie möglich zu entsorgen. Darf ich nicht. Ich muss ihr Dasein aushalten. Nach einer Viertelstunde ist mein Angst-Level auf 30. Der nächste Therapieschritt: Ich soll die Kreuzspinne anstupsen, mit dem Finger berühren. Überwindung pur. Bei jeder Bewegung zucke ich zusammen, ziehe den Zeigefinger ruckartig zurück. Ich quieke, lache nervös, fahre mir hektisch durch die Haare. Mein Körper bebt, ich will weg.

"Nochmal. Nochmal. Nochmal", wiederholt Lass-Hennemann. Ihre Stimme ist leise, ruhig und freundlich - sie will mich beruhigen, funktioniert nicht. Ich bin aufgewühlt, will, dass es endlich vorbei ist. Wichtig: Die Kreuzspinne soll die Prozedur überleben. Das Monster zu töten, ist keine Option. Ich tippe Fabienne von hinten, seitlich und von vorne an. Gänsehaut. Ihre Beine sind mit einem leichten Flaum überzogen, bei jeder Berührung steigt mein Brechreiz. Doch die Angst nimmt erneut ab, ich bekomme Routine: Anstupsen, Streicheln der haarigen Spinne. Die finale Übung mit Fabienne: Ich soll sie in die Hand nehmen, sie über meine Finger und Handfläche laufen lassen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, wenn die Kreuzspinne hektisch über meine Hände rennt oder einfach auf dem Handgelenk ruht. Ungewissheit, wann sie wieder loshechtet. "Sie sollen merken, dass keine Spinne sie beißen will", sagt Lass-Hennemann. Ich bin angespannt, mein Rücken, mein Genick, alles tut weh. Die Angst ist echt. Meine Hände zittern, doch nach weiteren 20 Minuten habe ich Routine. Fabienne flößt nicht mehr so viel Angst ein wie zu Beginn. Mit nach Hause will ich sie dennoch nicht nehmen.

Doch das war's noch lange nicht. Lass-Hennemann verschwindet aus dem Zimmer, nimmt Fabienne mit. Sie kommt mit Spinne Nummer zwei zurück, setzt sie ins Terrarium. Ich wünsche mir Fabienne zurück. Vor mir hüpft eine schwarze Springspinne. Schwarz-Grün und Furcht erregend ist sie. Drei Beine fehlen. "Die wachsen nach", sagt Lass-Hennemann. Interessiert mich nicht. Nicht nur die fehlenden Beine wirken eigenartig, auch das Hinterteil der Springspinne Helga ist schräg. Eine leicht grünliche Kugel hängt schief an Helgas Körper. Dennoch: Helga ist schnell, ich muss aufpassen, dass sie nicht entwischt. Anschauen, einfangen, freilassen, einfangen, freilassen, anfassen. Die Spinne auf die Hand nehmen möchte ich nicht. Ich weigere mich, will, dass die Therapeutin Helga rausbringt.

Lass-Hennemann zeigt mir die Übung mehrmals. Ich traue mich. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Helga ist nur wenige Gramm schwerer und ein bisschen größer als Fabienne, doch der Unterschied ist groß. Wie Blei liegt sie auf meiner Handfläche, ich merke wie mein Puls steigt und zähle die Sekunden, bis ich die Springspinne wieder in ihr Terrarium geben darf.

Die nächste Spinne werde ich nicht anfassen, niemand wird mich überreden können. Als Lass-Hennemann Hugo, eine Winkelspinne, bringt, schiebe ich ruckartig den Stuhl nach hinten, will mich in die letzte Ecke des Raumes retten. Hugos Körper ist etwa so groß wie eine Fingerkuppe. Davon gehen lange, viel zu lange haarige Beine ab - Hugos Körper ist schmal, erinnert an eine Libellenlarve. Mein Angst-Level liegt bei 100 Prozent, vielleicht höher. Bei Hugo dauert es deutlich länger als bei Fabienne, bis ich mich an den Anblick gewöhne. Als ich ihn mit dem Glas einfangen will, quetsche ich aus Versehen eines seiner acht Beine ein. Er zappelt unnatürlich, schafft es aber, das Bein mit eigener Kraft herauszuziehen. Lange anschauen, mag ich ihn nicht. Dieses große, eklige Monster. Die Angst nimmt nur wenig ab - 90, 80, 70 Prozent - ich schwanke. Ich nehme all meinen Mut zusammen, stupse ihn im Terrarium an, schrecke jedes Mal auf, sobald die mandarinengroße Winkelspinne springt und sich in die Ecke rettet.

 SZ-Mitarbeiterin Sarah Umla traut sich was und lässt eine Spinne über ihre Hand laufen – trotz Angst. Foto: Schäfer

SZ-Mitarbeiterin Sarah Umla traut sich was und lässt eine Spinne über ihre Hand laufen – trotz Angst. Foto: Schäfer

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Das Finale: Lass-Hennemann nimmt Hugo auf die Hand, ich kann mir nicht vorstellen, es ihr gleich zutun. Ich ziehe die Hand fünf Mal weg, bevor Hugo für Sekunden auf meiner Hand sitzen darf. Er will nicht bleiben. Leider. Hugo saust meinen linken Arm hoch. Vor Panik streife ich ihn von mir. Er landet mit einem lauten Plopp auf dem Tisch, krabbelt weiter. Ihm ist nichts passiert. "Auf ein Neues", sagt Lass-Hennemann. Noch ein paar Mal setze ich Hugo auf meine Hand. Erst sprintet er über meine Hände, bleibt letztlich sitzen. Ich fühle ein Stechen und Ziepen - er beißt nicht, meine Psyche spielt mir einen Streich. Die Stelle, auf der die Winkelspinne sitzt, pulsiert. Ich wechsele in Sekundentakt von Frieren zu Schwitzen, wieder steigt der Brechreiz. Hugo putzt sich seelenruhig auf meiner Hand. Ich zähle die Sekunden, bis ich die Spinne wieder ins Terrarium setzen darf. Erleichterung. Drei Stunden Spinnenqual liegen hinter mir. Ob ich Hugo mit nach Hause nehmen will, fragt mich Lass-Hennemann. "Zum Üben?" Na ja, so groß ist die Spinnenliebe dann doch wieder nicht. Hugo wird wie Helga und Fabienne in die Freiheit entlassen. Genau wie ich.

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