Ankara macht Druck vor NSU-Prozess

Alles auf Anfang bei der Vergabe von Medienplätzen für den NSU-Prozess. Ankara will türkische Journalisten und Staatsvertreter im Gerichtssaal. Viele fürchten weiteren Ärger – und neue Klagen. Immerhin sollen die Nebenkläger eine Entschädigung bekommen.

München/Istanbul. Nach der Verschiebung des NSU-Prozesses gehen die Querelen um die Akkreditierung weiter. Die türkische Regierung forderte gestern erneut eine ausreichende Zahl von Plätzen für türkische Journalisten und für Abgeordnete. Das Außenministerium hoffe, dass allen türkischen Journalisten, die dies wollen, eine Berichterstattung ermöglicht werde, sagte eine Sprecherin gestern in Ankara. Man hoffe zudem, dass auch der Wunsch türkischer Parlamentarier und Regierungsvertreter nach einer Beobachtung des Verfahrens berücksichtigt werde.

Verfahrensbeteiligte und deutsche Medienvertreter verlangten, für den Mega-Prozess einen größeren Saal zu wählen oder die Verhandlung in einen weiteren Raum zu übertragen. Zugleich wird die Sorge laut, dass das erneute Akkreditierungsverfahren auch neue Verfassungsbeschwerden nach sich ziehen könnte: Klagen könnten Journalisten, die nach dem ersten Verfahren einen Platz sicher hatten und nun leer ausgehen könnten. Wie der neue Anlauf zur Platzvergabe aussehen soll, teilte der Senat unter Vorsitz von Manfred Götzl nicht mit.

Nach wochenlangem Streit über die Vergabe der Presseplätze hatte das Oberlandesgericht München den für Mittwoch geplanten Prozessbeginn am Montag überraschend um knapp drei Wochen auf den 6. Mai verschoben. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass insbesondere türkische Medien eine angemessene Zahl von Sitzplätzen erhalten müssen. Sie hatten zunächst keinen der 50 festen Plätze ergattert, obwohl acht der zehn Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU türkische Wurzeln hatten.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sagte den Nebenklägern wegen der Verlegung Entschädigungen zu. "Einen finanziellen Ausgleich wird es in jedem Fall geben." Viele Nebenkläger hatten bereits Fahrkarten oder Flüge gekauft und teils auch Hotels reserviert oder Urlaub genommen. Merk betonte, die in richterlicher Unabhängigkeit getroffene Entscheidung sei zu akzeptieren. "Sie bedeutet aber für viele der Opfer zusätzliche Belastungen."

Generalbundesanwalt Harald Range bezeichnete den Neustart des Akkreditierungsverfahrens als "taugliche und angemessene Lösung" für einen unbelasteten Beginn der Hauptverhandlung. "Sie ermöglicht eine für alle Beteiligte akzeptable Regelung des Zugangs der Medien zu dem Prozess", erklärte Range gestern.

Die Tochter des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubasik nannte die Verschiebung des Prozesses einen "Schlag ins Gesicht". "Ich habe mich intensiv auf den Prozess vorbereitet. Die innere Anspannung ist dabei immer größer geworden", sagte Gamze Kubasik den "Ruhr Nachrichten". Für ihre Familie sei die Belastungsgrenze überschritten.

Die Nebenklageanwältin Angelika Lex bedauerte, dass die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) wegen der Debatte um die Medienplätze inzwischen in den Hintergrund getreten seien. Der Hauptangeklagten Beate Zschäpe wird Mittäterschaft an zehn Morden zur Last gelegt. Zudem sind vier mutmaßliche Helfer angeklagt.

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