Analyse Wie einig sind sich Merkel und Kramp-Karrenbauer?

Berlin · „Zwischen uns passt kein Blatt Papier.“ Der Satz ist legendär. Gerhard Schröder, seinerzeit SPD-Kanzlerkandidat, sagte ihn 1998 in Bezug auf Oskar Lafontaine, damals SPD-Vorsitzender. Das Papier, das dann doch zwischen beide passte, war am Ende ziemlich dick.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es war die Scheidung. Nach nur 146 Tagen als Finanzminister unter Schröder verließ Lafontaine 1999 fast fluchtartig sein Amt und legte alles nieder. Das „Mannschaftsspiel“ habe nicht gestimmt, klagte er.

Dass ein Kanzler nicht zugleich Parteivorsitzender war, gab es auch während der Regierungszeit von Helmut Schmidt. Der war kein SPD-Chef, sondern Willy Brandt. Und auch Gerhard Schröder hatte ab 2004 einen Parteichef Franz Müntefering neben sich. Dass aber der Kanzler und der Parteichef an einem Kabinettstisch saßen, das gab es bislang nur im Fall Lafontaine und Schröder. Es ist genau das Modell, für das sich Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer am Dienstag entschieden haben. Es ist explosiv.

Allerdings gibt es Unterschiede: Lafontaine wollte nicht wie jetzt AKK Nachfolger des Regierungschefs werden, Schröder war ja gerade erst gewählt worden. Er verfolgte aber eine andere Politik, eher links und staatsorientiert. Schröder setzte hingegen auf einen eher neoliberalen Kurs. Lafontaine musste schmerzhaft lernen, dass die Richtlinienkompetenz in einem Bundeskabinett nicht beim Parteichef, sondern beim Kanzler liegt. Auch in seinem Ressort, der Finanzpolitik.

Kramp-Karrenbauer und Merkel liegen inhaltlich nicht so weit auseinander wie die beiden Sozialdemokraten. Problematisch im aktuellen Fall ist jedoch, dass die amtierende Kanzlerin erklärtermaßen demnächst aufhören will und die CDU-Chefin auf diesen Tag wartet. Hier ist ein Konflikt dann programmiert, wenn Kramp-Karrenbauer die Geduld verliert – zum Beispiel, weil sie ihre Chancen sinken sieht und auf eine vorzeitige Übergabe drängt.

Aber auch jenseits der Nachfolgefrage kann die Grundkonstellation jederzeit zu Spannungen führen. Kramp-Karrenbauer ist wie jeder Minister der Kabinettsdisziplin unterworfen. Was passiert, wenn sie zum Beispiel von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht das Geld für die Bundeswehr bekommt, das sie haben will, und Merkel ihr nicht helfen will oder kann? Außerdem hat die Parteichefin das Problem, dass sie als Ministerin gegenüber dem Koalitionspartner SPD zur Zurückhaltung gezwungen ist. Wie geht sie in Wahlkampfzeiten damit um?

Auf der Parteiseite ist die Ministerin wiederum quasi die Chefin Merkels. Da gibt AKK die Linie vor. Was, wenn AKK von Merkel das Vorziehen oder Unterlassen bestimmter Kabinettsbeschlüsse verlangt, weil in Ländern gerade Wahlkämpfe stattfinden? Solche Strategien gehören zum Handwerkszeug von Parteivorsitzenden, müssen eine Kanzlerin, die das nicht ist, jedoch wenig interessieren. Und die Kabinettszeitplanung obliegt dem Kanzleramt.

Es ist klar, dass das Modell höchst riskant ist. Funktionieren kann es eigentlich nur, wenn keine der beiden Frauen eine eigene, heimliche Agenda verfolgt, und wenn sich beide ständig miteinander austauschen. Das ist nicht leicht, denn sie werden viel unterwegs sein, oft sogar in unterschiedlichen Zeitzonen. Auch die Koordinierung der Pressearbeit, überhaupt aller öffentlichen Aussagen, muss perfekt gelingen. Und zwar zweieinhalb Jahre lang, sofern die Regierung so lange hält. Schon ein Misston oder Missverständnis kann reichen, um das Duo zu entzweien. Die Presse jedenfalls wird mit Argusaugen auf solche Misstöne achten. Denn seit Schröder und Lafontaine muss ihr niemand mehr mit Sprüchen von Eintracht und Harmonie kommen.

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