Amerikas alte Wunde

Washington · Mit dem 13. Verfassungssatz haben die USA vor 150 Jahren die Sklaverei abgeschafft. Gründlich aufgearbeitet hat Amerika diesen Teil seiner Geschichte noch nicht – obwohl sich inzwischen mehrere Forscher dem Thema widmen. Auch ein Museum legt Zeugnis ab über das unrühmliche Kapitel.

 Das Herrenhaus der Whitney Plantation, einer ehemaligen Zuckerrohrplantage am Mississippi, die heute als Museum für die Zeit der Sklaverei dient. Fotos: Herrmann

Das Herrenhaus der Whitney Plantation, einer ehemaligen Zuckerrohrplantage am Mississippi, die heute als Museum für die Zeit der Sklaverei dient. Fotos: Herrmann

John Cummings sitzt auf einer Kirchenbank - bereit für ein Interview. Die erste Frage wartet er gar nicht erst ab. Wie oft habe er den Ausspruch schon gehört: "Warum könnt ihr die Sache nicht endlich überwinden?" Meist klinge es genervt, an die Adresse schwarzer Amerikaner gerichtet, als ob man ein Klagelied nicht mehr hören könne. Gemeint ist die Sklaverei. Der wuselige Anwalt aus New Orleans hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Fakten ebenso gnadenlos und brutal in Erinnerung zu rufen, wie sie nun mal waren. Bloß nicht kratzen an der alten Wunde? Er sieht das anders. Wallace, US-Staat Louisiana. Eine milchweiße Kirche, Lehmfiguren von Kindersklaven in den Gängen, hat Cummings aus einem Dorf namens Paulina über den Mississippi bringen lassen. Zerlegt in Einzelteile. In der kleinen Holzkirche beginnen die geführten Touren über die Whitney Plantation, eine frühere Zuckerrohr-Plantage, aus der Cummings ein Freilichtmuseum gemacht hat. In einer der Hütten drehte Quentin Tarantino eine Szene des Films "Django Unchained". John Cummings ist 78, ein Jurist mit irischen Wurzeln, ungemein redegewandt und sehr erfolgreich in Schadensersatzprozessen, bei denen es in Amerika mit seinen bis zum Exzess betriebenen Sammelklagen schnell um Milliarden geht. Es ist nicht so, dass er ein halbes Leben lang an dem Plan gefeilt hätte, das erste Sklaverei-Museum der USA zu gründen. Vielmehr war es ein spontaner Entschluss, basierend auf einer Laune des Zufalls.

Der Mann hat schon immer gern Immobilien gekauft von dem Geld, das er mit seiner Kanzlei verdiente. Als Ende der Neunziger die ehemalige Whitney Plantation zu haben war, griff er zu. Mit dem verwilderten Areal erwarb Cummings eine Studie über dessen Geschichte: acht Bände, darin seitenfüllende Übersichten mit den Namen von Sklaven . Als er das gelesen hatte, wollte er "wissen, warum ich von alledem nichts gewusst hatte. Wieso stand das nicht auf dem Lehrplan?"

Die Antwort auf seine Fragen laute Hass, sagt er, "Hass auf die Schwarzen, weil sie 1865 mit dem Ende des Bürgerkriegs frei waren. Deshalb das Schweigen."

Forschungsleiter Ibrahima Seck hat aus den Archiven, in Afrika und Amerika, im Senegal wie in Louisiana zusammengesucht, was er über die Whitney Plantation finden konnte. Kapitel um Kapitel hat der Historiker die Chronik der Plantage geschrieben. Angefangen bei Ambroise Haydel, der ursprünglich Heidel hieß und 1721 aus der Nähe von Würzburg an den Mississippi gekommen war. Einer seiner Urenkel, Jean-Jacques Haydel, versteigerte 1840 sämtliche Sklaven , weil er Geld brauchte. Nach dem Bürgerkrieg wurde das Gut an einen gewissen Bradish Johnson verkauft, der es nach seinem Enkel Harry Whitney benannte. Was Cummings und Seck aber vor allem interessiert, ist der Umgang mit den Sklaven : Wurde ein entlaufener Sklave gefangen, brannte man ihm das Lilienwappen Louisianas auf eine Schulter und schnitt ihm die Ohren ab. Ein zweiter Fluchtversuch zog ein Lilienbrandmal auch auf der anderen Schulter nach sich, außerdem wurde die Achillessehne durchtrennt. Ein dritter bedeutete den Tod. Montgomery, US-Staat Alabama. Das backsteinrote Gebäude, in dem Bryan Stevensons Schreibtisch steht, war einmal ein Sklaven-Depot, präziser: ein Gefängnis, in dem die menschliche Ware eingesperrt wurde, bis man sie auf einem Platz an der Commerce Street versteigerte. Stevenson hat seine "Equal Justice Initiative" (EJI), eine Organisation von Juristen , bewusst dort angesiedelt. Nach dem Studium in Harvard war er in den Süden gezogen, und zufällig kam der erste Mandant, den er vor der Hinrichtung bewahrte, ein Gärtner namens Walter McMillian, eines Mordes für schuldig befunden, mit dem er nichts zu tun hatte, aus Monroeville, der Kleinstadt, der Harper Lee zu literarischem Weltruhm verhalf. In Monroeville spielt ihr Roman "Wer die Nachtigall stört".

Über Mangel an Kundschaft kann er nicht klagen, der Anwalt Stevenson. Selbst Anhänger des Ku-Klux-Klan hätten ihn schon eingeschaltet, als sie einen guten Rechtsbeistand brauchten. Ihn, den Urenkel von Sklaven . Was sich in seiner Familie an Dramen abgespielt haben muss, begann er an dem Tag zu erahnen, an dem ihn seine Großmutter bat, mit ihr über einen Acker zu einem Holzschuppen zu laufen. Irgendwo in Virginia. In dem Schuppen, erfuhr Stevenson, wurde sein Urgroßvater geboren. Noch in der Schule, sagt er, habe er ein großes Geheimnis daraus gemacht, dass er von Sklaven abstamme. "Und heute rede ich die ganze Zeit darüber."

Sklaverei, doziert Stevenson, habe es auch anderswo gegeben, in Europa, Asien und Afrika. Doch erst in Amerika wurde daraus ein System, "erst wir haben das zu einem Dauerzustand gemacht, etwas, was auf die nächste Generation vererbt wird". Im Übrigen sei die Sklaverei nicht wirklich passé gewesen mit dem 13. Zusatzartikel zur Verfassung, den Abraham Lincoln gegen hartnäckigen Widerstand im Kongress durchsetzte. Sie sei fortgeschrieben worden im Süden, mit anderen Mitteln, den Mitteln rassistischen Terrors. Nur dass die Terroristen brave Bürger waren, Banker, Lehrer, Ärzte. Mit den Langzeitfolgen der Sklaverei müsse sich das Land erst noch auseinandersetzen. Fünf Jahre hat das EJI zuletzt damit verbracht, 3959 Lynchmorde zu dokumentieren, begangen zwischen 1877 und 1950 in zwölf Südstaaten . Es gibt kaum eine Gedenktafel, die das ins Gedächtnis ruft. Stevenson will das ändern, eine steht schon bereit, demnächst soll sie in Brighton im Norden Alabamas aufgestellt werden.

 Blick auf die weiße Holzkirche nahe der Whitney Plantation.

Blick auf die weiße Holzkirche nahe der Whitney Plantation.

 John Cummings

John Cummings

 Bryan Stevenson

Bryan Stevenson

 Eine Sklavenhütte auf der Whithey Plantation, vorne Bottiche, die zur Verarbeitung von Zuckerrohr zu Melasse verwendet wurden.

Eine Sklavenhütte auf der Whithey Plantation, vorne Bottiche, die zur Verarbeitung von Zuckerrohr zu Melasse verwendet wurden.

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HintergrundMit dem "13. Verfassungszusatz" haben die USA vor 150 Jahren die Sklaverei abgeschafft. Es war eine chaotische Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Elf Südstaaten hatten sich abgespalten, um für den Erhalt der Sklaverei zu kämpfen. Es begann ein Bürgerkrieg des Nordens gegen die Südstaaten , der im Frühjahr 1865 zu Ende ging. Mehr als 600 000 Soldaten waren gestorben, kurz vor Kriegsende hatte ein Süd-Sympathisant Präsident Abraham Lincoln ermordet. Laut Volkszählung von 1860 lebten in den USA knapp vier Millionen versklavte Menschen. Am 6. Dezember 1865 trat dann der 13. Verfassungszusatz in Kraft, mit dem die USA die Sklaverei verboten. In den USA dürften "weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit" bestehen, außer als Strafe für ein Verbrechen, steht in dem Verfassungszusatz. Der Zusatz "setzte alle Menschen frei, sofort und ohne Bezahlung" an die "Besitzer", wie Akhil Reed Amar beschreibt, Jurist an der Yale Universität. Freiheit und Gleichberechtigung wurden jedoch erst rund 100 Jahre danach langsam wahr - durch die von der Bürgerrechtsbewegung erkämpften Wahlrechts- und Bürgerrechtsgesetze. epd

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