Abstimmung im Bundestag Organspende – soll Schweigen Ja bedeuten?

Berlin/Frankfurt · In Deutschland ist die Zahl der Patienten, denen eine Transplantation helfen könnte, deutlich größer als die Zahl der transplantierten Organe. Die Politik hat bereits ein Gesetz geändert. Nun steht eine weitere wichtige Entscheidung an.

 Organspender in Deutschland

Organspender in Deutschland

Foto: SZ/Müller, Astrid

Für mehr als 9000 Menschen in Deutschland geht es beim Warten um Leben und Tod. Sie sind dringend auf eine Organspende angewiesen, weil ihr Körper nicht mehr hundertprozentig funktioniert. Alljährlich verschlechtert sich der Gesundheitszustand bei über 1000 der Patienten auf den Wartelisten so sehr, dass entweder keine Transplantation mehr möglich ist – oder sie sterben sogar. Die großen Skandale um manipulierte Wartelisten sind schon einige Jahre her, die Einstellung der Deutschen ist laut Umfragen so positiv wie nie. Nur: Es mangelt an geeigneten Spendern.

Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Organspender leicht von 955 auf 932 zurück. „Statistisch gesehen sind das Schwankungen, keine große Änderung“, sagt Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Wichtig sei, dass der deutliche Anstieg im Jahr 2018 kein Ausreißer gewesen sei. Die Zahl der gespendeten Organe sank 2019 von 3113 auf 2995. Jeder Spender hat im Schnitt mehr als drei Schwerkranken eine neue Lebenschance geschenkt.

Die Politik hat die Problematik auf dem Schirm. Im abgelaufenen Jahr wurde das Gesetz geändert: So bekamen Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern einen höheren Stellenwert, ihre Arbeit wird besser vergütet. Schulungen etwa zum Umgang mit Patientenverfügungen und eine bessere Analyse der Todesfälle in Kliniken sollen ebenfalls dazu beitragen, dass die Zahl der Organspenden steigt. Erstmals aufgenommen wurde darüber hinaus die Betreuung der Angehörigen – eine Wertschätzung, die aus Rahmels Sicht nicht zu unterschätzen ist.

Dass das alles helfen kann, da sind sich alle Experten einig. Wie sehr es helfen wird, bleibt ebenso abzuwarten wie das Tempo, in dem die Verbesserungen eintreten. Die DSO verbuchte in den vergangenen Monaten zumindest schon mal mehr Anfragen der Krankenhäuser.

Viel versprechen sich die meisten von einer Abstimmung, die an diesem Donnerstag im Bundestag ansteht: Dann geht es auch um die sogenannte Widerspruchslösung. Zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe liegen vor: Eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schlägt eine „doppelte Widerspruchslösung“ vor. Demnach sollen automatisch alle Bürger als Organspender gelten. Man soll dazu aber später Nein sagen können. Dies lehnt eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock ab. Die AfD will am Donnerstag einen eigenen Antrag einbringen. Sie lehnt die Widerspruchslösung strikt ab.

Bisher sind Organ-Entnahmen nur bei einem ausdrücklichen Ja zulässig. Philosoph Dieter Birnbacher, Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, meint, die Quote an Verweigerungen der Angehörigen hänge mit den jeweiligen Einstellungen in den Ländern zusammen. „In Deutschland herrscht in Bezug auf die High-Tech-Medizin immer noch eine Misstrauenskultur“, so Birnbacher. „Es wäre insofern gut, wenn sich mehr potenzielle Spender zu Lebzeiten äußern würden.“

Ein zweiter Punkt ist wichtig: Der Tod des Menschen muss durch Nachweis des unwiderrufbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms zweifelsfrei feststehen. Zwei Ärzte prüfen das unabhängig voneinander. Beispielsweise ist in Spanien die Organspende nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand möglich, in Deutschland aber nicht erlaubt. „Das ist ein relativ dickes Brett und hat ganz eigene ethische Herausforderungen“, sagt Rahmel. Ist ein passender Empfänger gefunden, kommt es auf Zeit an: „Einige Organe lassen sich nur für kurze Zeit konservieren, ein Herz beispielsweise nur für vier Stunden“, heißt es bei der DSO. Bei einer Niere könnten mehr als 20 Stunden bis zur Transplantation vergehen.

Rund 1300 Entnahmekrankenhäuser gibt es in Deutschland. Birnbacher sieht auch hier ein Problem, weil die große Zahl dazu führe, dass zu wenige Transplantationen pro Intensivstation anfielen und zu wenig Expertise bestehe. Eine Konzentration und Spezialisierung, wie sie etwa in Dänemark verwirklicht worden sei, sei deshalb wünschenswert. „Dem stehen allerdings lokale Interessen entgegen“, so Birnbacher. „Ich halte die Konzentration allerdings für unausweichlich, nicht nur im Patienteninteresse, sondern auch wegen der Probleme der Finanzierbarkeit.“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verweist auf eine 2018 veröffentlichte Studie für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie zeige, dass die Entnahmekrankenhäuser nahezu alle potenziellen Organspender identifizieren. Allerdings stellten die Studienmacher auch fest, dass beispielsweise nicht in allen Fällen gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer eine Diagnostik zum Hirnausfall vorgenommen wurde.

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