Als die Kinderehe nach Deutschland kam

Vorbei die Zeit des Lernens in der Schule, der unbeschwerten Kindheit - mit nur 14 Jahren. Für viele Mädchen weltweit beginnt das Leben als Ehefrau schon weit vor dem Erwachsenenalter. Mit der Flüchtlingswelle aus Syrien ist auch das Thema Kinderehe in Deutschland angekommen. Dabei erregte vor einigen Wochen der Fall zweier Bürgerkriegsflüchtlinge, einer 14 Jahre alten Syrerin und ihres 20-jährigen Ehemannes, großes Aufsehen. Das Aschaffenburger Jugendamt erkannte die Ehe der Minderjährigen und ihres Cousins nicht an, trennte das Paar und nahm das Mädchen in Obhut. Nach einer Klage des Ehemannes hob das Oberlandesgericht Bamberg diese Entscheidung wenig später auf. Die Richter beriefen sich auf die Rechtspraxis, wonach in Deutschland Ehen nach dem Gesetz des Herkunftslandes anerkannt würden. Das Gericht sah zudem keine Anzeichen für eine erzwungene Ehe. Nach deutschem Recht sind Zwangs- und Kinderehen verboten. Wurde mit diesem Urteil die Scharia-Kinderehe durch die Hintertür legalisiert, wie Kritiker behaupten? Im vorliegenden Fall soll jetzt der Bundesgerichtshof entscheiden.

Kinderehen wurden - anhand von Papieren - auch unter den syrischen Flüchtlingen im Saarland registriert, wie eine Mitarbeiterin der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Lebach gegenüber der SZ erklärte. Das sei allerdings nicht immer gleich ein Grund zu handeln. Die Rechtslage jedenfalls ist keineswegs eindeutig. Menschenrechts- und Kinderschutzorganisationen mahnen die Politik zum Handeln. Auch die Unionsfraktion im Bundestag sprach sich für ein schärferes Vorgehen gegen Kinderehen aus. Gestern nun berief Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD ) eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein, die sich mit dem Thema Kinderehen befasst. Die Vertreter von Bund und Ländern sollen darüber diskutieren, ob die Vorschriften zur Ehemündigkeit im deutschen Recht geändert werden sollten. Zudem soll die konkrete Praxis der Anerkennung von Auslandsehen besprochen werden. Der Definition zufolge ist von einer Kinderehe dann die Rede, wenn mindestens einer der Partner minderjährig, also unter 18 Jahre alt ist.

Mit der Einreise Hunderttausender Flüchtlinge ist nach Schätzungen von Behörden inzwischen deutschlandweit eine vierstellige Zahl an Kinderehen registriert worden. Nach Recherchen der "Welt am Sonntag" wurden seit 2015 mehr als 1000 Fälle gezählt, die Dunkelziffer sei aber deutlich höher. Im Saarland erfassten die Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Lebach und die Vorclearingstelle Schaumbergerhof in Tholey, in der vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ankommen, seit Februar 2016 rund 20 Kinderehen.

Maas betonte, die Politik werde alles tun, um Kinder und Jugendliche vor Missbrauch und Zwangsheirat zu schützen. Zwangsehen dürften nicht geduldet werden, "egal, ob sie in Deutschland oder im Ausland geschlossen wurden". Die Grünen kritisierten unterdessen, dass sich das Problem von Kinderehen bei näherer Betrachtung kaum durch einen Federstrich des Gesetzgebers lösen lasse. Dass Kinder in die Schule gehörten und nicht in die Ehe, werde in Deutschland wohl niemand bestreiten, so deren Sprecherin für Rechtspolitik, Katja Keul, und für Familienpolitik, Franziska Brantner. Da im Inland geschlossene Ehen immer den deutschen Formerfordernissen genügen müssten, sei eine sogenannte Imam-Ehe aber heute schon null und nichtig.

Dagegen sieht das Deutsche Kinderhilfswerk beim Thema Kinderehen dringenden Handlungsbedarf. Dessen Präsident Thomas Krüger hatte am Wochenende erklärt, es dürfe nicht sein, dass im Ausland geschlossene Kinderehen in Deutschland akzeptiert würden. Es sei schnellstmöglich eine Anpassung der Rechtslage notwendig.

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