Als dem Bergbau an der Saar die Totenglocke läutete

Die Totenglocke für den Bergbau im Saarland schlug um 16.31 Uhr. Als an diesem 23. Februar des Jahres 2008 im Großraum Saarwellingen die Erde bebte und Gesteinsbrocken von der katholischen Kirche St. Blasius regnen ließ, half den Saar-Bergleuten auch kein Beten mehr: Das Ende einer jahrhundertelangen Epoche war gekommen

 Als der Saar-Bergbau endgültig ins Wanken geriet: Nach dem schweren Beben vom 23. Februar 2008 sah es vor der St. Blasius-Kirche in Saarwellingen wie nach einem Bombenangriff aus. Foto: Frank May/dpa

Als der Saar-Bergbau endgültig ins Wanken geriet: Nach dem schweren Beben vom 23. Februar 2008 sah es vor der St. Blasius-Kirche in Saarwellingen wie nach einem Bombenangriff aus. Foto: Frank May/dpa

Die Totenglocke für den Bergbau im Saarland schlug um 16.31 Uhr. Als an diesem 23. Februar des Jahres 2008 im Großraum Saarwellingen die Erde bebte und Gesteinsbrocken von der katholischen Kirche St. Blasius regnen ließ, half den Saar-Bergleuten auch kein Beten mehr: Das Ende einer jahrhundertelangen Epoche war gekommen. Nicht einmal die von Beben und Senkungen über Jahre Betroffenen hatten sich vorstellen können, dass der Bergbau auf derart erschütternde Weise enden würde.Das war die andere Seite der Medaille, die das "schwarze Gold" prägte. Die Kohle hat nicht nur Energie gespendet und die Industrie befeuert, sie hat den Menschen an der Saar nicht nur ein Vierteljahrtausend lang Lohn und Brot gegeben; sie hat auch vielen Menschen Kummer und Stress gebracht, weil der Abbau zu Spannungen in den Gesteinsschichten führte und Hohlräume Absenkungen nach sich ziehen. Viele Jahre lang hatten die Menschen sich damit abgefunden, dass die Senkungen Schäden an ihren Häusern verursachten. Sie wurden ja reguliert.

Doch Anfang der 90er Jahre war ihre Geduld zu Ende. Mit der obligatorischen, oft als unzureichend empfundenen Schadensregulierung durch die RAG war es nicht mehr getan. "Es wurde in immer größerer Tiefe, immer schneller, mit immer größeren Schäden abgebaut", sagt Peter Lehnert, einer der drei Sprecher des Landesverbandes der Bergbaubetroffenen.

Das Bergrecht aber räumte den Bürgern kaum Möglichkeiten ein, sich gegen einen Abbau zu wehren. "Man musste zumindest mittlere Schäden hinnehmen und regulieren lassen", erinnert sich Albert Tost von der Bergschadengemeinschaft Völklingen. Der Fürstenhausener gehört zu den Pionieren der Bürgerinitiativen, die, wie er sagt, "Bergbaurechts-Geschichte" geschrieben haben. Ihr Anliegen war neben einer verbesserten Schadensregulierung vor allem, die Entstehung der Schäden zu vermeiden. Das hieß: Die Genehmigung bestimmter Abbau-Strebe zu verhindern.

Fürstenhausen liegt über dem so genannten Westfeld. 1993 bis 2005 wurde dort vom Bergwerk Warndt/Luisenthal aus Kohle abgebaut. Im Oktober 1990 war in einer wie üblich nicht öffentlichen Sitzung eines Ausschusses des Stadtrates Völklingen bekannt geworden: Die Hohlräume sollten nicht verfüllt werden, es werde entgegen bisherigen Aussagen des Bergbauunternehmens nicht mit "Blasversatz" gearbeitet. Grüne Ratsmitglieder veröffentlichten dies in einem Flugblatt. Die Reaktion der RAG ließ nicht lange auf sich warten. Auf öffentlichen Druck legte das Unternehmen erstmals seine Abbau-Pläne öffentlich aus. Die Bergschadensgemeinschaft klagte sich in den Folgejahren - aus Kostengründen meist ohne Anwalt - durch die Instanzen. 1996 erkannten das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht in Saarlouis dann erstmals an: Betroffene Bürger waren klageberechtigt. Wer innerhalb der "Einwirkungslinie" lebte, konnte sich gerichtlich gegen die Genehmigung des Abbaus einzelner Strebe wehren, nicht nur in Fürstenhausen.

Davon machten die Bürger natürlich Gebrauch, und es folgte ein Hase- und Igel-Spiel: Genehmigung eines Strebes durch die Bergbehörden, Klage der Bürger, gerichtliche Anordnung eines "Sofortvollzuges", das heißt: Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Gutachten, erneute Klage. Tost: "Es war Salamitaktik. Strebe waren abgebaut, bevor das Gerichtsverfahren soweit war." Trotz der juristischen Wende konnten die Bürger den Abbau im Westfeld also nicht stoppen. Heute haben rund 100 der 700 Häuser in Fürstenhausen einen Totalschaden. 77 davon hat das Bergbauunternehmen gekauft - und abreißen lassen.

Auch in den Lebacher Stadtteilen Falscheid, Knorscheid und Hoxberg sowie in Saarwellingen-Reisbach bildeten sich Bürgerinitiativen. Sie nannten sich "Interessengemeinschaft zur Abwendung von Bergschäden" (Igab). Hier verlaufen die Flöze Grangeleisen im Nordfeld, Wahlschied und Schwalbach, abgebaut in den Feldern Dilsburg West und Ost. Lebach hatte einen Beauftragten für Bergschäden benannt, Gangolf Hontheim. Allein in den Jahren 2000 bis 2005 vermittelte er in 10 000 Schadensfällen nach Senkungen und Erschütterungen. 2006 wurde er Leiter einer Stabsstelle im Wirtschaftsministerium. Danach landeten allein im ersten Jahr rund 9000 Anfragen auf seinem Tisch. Bald hatten die Bergbau-Gegner auch ein Logo, das in Reisbach entstand: ein Aufkleber mit einem rot durchgestrichenen zerborstenen Haus.

Auch in der benachbarten Primsmulde war 1992 eine Igab entstanden: zunächst in Nalbach, später in Schmelz. Anlass war die Genehmigung des allgemeinen Rahmenbetriebsplanes für die beiden Felder Primsmulde Nord und Süd, die ebenfalls von Ensdorf aus anzufahren waren. Genehmigt wurde am 31. Juli 1990 - nur Stunden, bevor Deutschland verspätet eine EU-Regelung übernahm, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorschrieb. Das entfachte Zorn bei den Bürgern, auch auf die Politik, die sich nicht klar positionierte und gern windelweiche Erklärungen von sich gab.

Die Igab Nalbach rief deshalb von 1995 an jedes Jahr am 31. Juli zur "Brückendemo" an der Primsbrücke in Körprich auf. Forderungen neben der UVP: kein Abbau mehr unter bewohntem Gebiet. Dennoch begann der Abbau in der Primsmulde Süd 2006. In neun Monaten wurden hier fast 100 Beben registriert, ihr Radius wurde ständig größer. Die Wut der Bürger wuchs, der Widerstand wurde härter und emotionaler. Dazu trug bei, sagt Lehnert, dass sich die Betroffenen "einem Konglomerat aus bergbaufreundlicher Politik, Gewerkschaft, Bergbauunternehmen, Öffentlichkeit und Justiz" gegenüber hilflos fühlten. Sie erlebten das wiederkehrende Ritual aus Beschwichtigung des Unternehmens, es werde nun nichts mehr passieren, gegenteiligen Gutachten - und erneuten Beben.

Als Provokation, die Lehnert drastisch "Verarschung" nennt, empfanden die Bürger dann 2006 einen Fragebogen, den der damalige Gesundheitsminister Josef Hecken (CDU) 50 000 Mal verschickte. Betroffene sollten ihn gleich nach einem Beben beim Arzt ausfüllen - doch der Rücklauf war gleich Null. Zur Wut kam Angst, seit nächtliche Beben Panikzustände auslösten und Kinder nicht mehr zu beruhigen waren. Jetzt ging es auch um Gesundheit, nicht mehr "nur" um Bauschäden.

Die Igabs mit ihren nach eigenen Angaben rund 4000 Mitgliedern betrachteten die Bergbau-Frage immer als politisch. Vor allem auf Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hofften sie, der sich immer mehr vom Bergbau distanzierte. Grüne und FDP stellten sich hinter die Igab-Forderungen. Immerhin, der öffentliche Druck blieb nicht ohne Folgen. Die Kommunen Völklingen, Lebach, Saarwellingen klagten nun selbst oder unterstützten ihre Bürger vor Gericht. Erstmals widerrief 2005 die Landesregierung eine Abbaugenehmigung. Und am 23. Februar 2008 war dann endgültig Schluss. Selbst die RAG hatte ein Einsehen, als die Landesregierung nach dem großen Beben das Aus für den Saar-Bergbau verkündete, sechs Jahre früher als geplant (in Deutschland endet die Kohleförderung 2018). "Ohne uns", da ist sich Peter Lehnert sicher, "wäre der Abbau im Saarland nicht vorzeitig beendet worden."

Zu ihren Erfolgen zählt die Igab auch die jüngste Vereinbarung mit der RAG: 17 000 Haushalte in 17 Orten können jetzt eine Entschädigung für Wohnwertminderung beantragen. Der höchste Betrag (1250 Euro) wird für Falscheid gezahlt.

Was bleibt, sind die Altlasten. Lehnert: "Schäden, die das Land finanziell ruinieren könnten. Großflächige Senkungen und Vernässungen, Austritt des giftigen Radon-Gases, krebserregende Stoffe auf den Halden."Foto: B&B

"Ohne uns wäre der Abbau nicht vorzeitig beendet worden."

Ein Kindergesicht mit dem Logo des Widerstandes, einem zerborstenen Haus. Foto: Theobald

Ein Kindergesicht mit dem Logo des Widerstandes, einem zerborstenen Haus. Foto: Theobald

Peter Lehnert, Sprecher der Bergbaubetroffenen

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