Anderthalb Jahren Haft auf Bewährung Er zog seinen Patienten gesunde Zähne

Hamburg · Wegen brutaler Behandlungsfehler wird in Hamburg ein Zahnarzt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

 Das Gefängnis bleibt ihm wohl erspart: Wegen Behandlungsfehlern hat das Amtsgericht Hamburg den Zahnarzt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte mehr gefordert.

Das Gefängnis bleibt ihm wohl erspart: Wegen Behandlungsfehlern hat das Amtsgericht Hamburg den Zahnarzt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte mehr gefordert.

Foto: dpa/Daniel Reinhardt

Wegen Zahnschmerzen an Heiligabend geht eine Hamburgerin zum Zahnarzt – und erlebt eine folgenreiche Bescherung. Eigentlich hat sie nur Probleme mit einigen Vorderzähnen, die nach einem Unfall überkront wurden. Der Mediziner sagt ihr jedoch, ihre Zähne seien allesamt „Schrott“. Gleich am ersten Weihnachtstag operiert er sie acht Stunden lang und zieht dabei 15 Zähne, darunter zehn gesunde. Die Behandlung missglückt, wie ähnliche Eingriffe bei drei weiteren Patienten. Rund neun Jahre später kommt der Mediziner vor Gericht. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen verurteilt das Amtsgericht Hamburg den 55-Jährigen gestern zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung.

Für die heute 58 Jahre alte Patientin beginnt Weihnachten 2009 ein langer Leidensweg. In einer zweiten Operation werden später die sieben verbliebenen Zähne entfernt. Der Arzt setzt ihr 20 Implantate an, doch statt des versprochenen „Hollywood-Lächelns“ hat sie wahnsinnige Schmerzen.

Richterin Jessica Oeser stellte fest, dass der Zahnarzt seine Patienten nicht oder nicht richtig aufgeklärt hat. Die zu Weihnachten durchgeführte Behandlung mit Einsetzen der Implantate hätte nach Auskunft eines Sachverständigen mindestens ein Jahr dauern müssen. Die Operation habe ein enormes Risiko beinhaltet.

Einer anderen Patientin schliff der Angeklagte sämtliche Zähne ab. Die dann gleich fest eingesetzten Kronen verursachten Schmerzen und mussten wieder rausgenommen werden. In der Folge seien mit zwei Ausnahmen bei allen Zähnen Wurzelbehandlungen notwendig geworden. Der Sachverständige habe erklärt, die Frau sei vor Schmerzen die Decke hochgegangen.

Die dritte Patientin wollte nur ein Implantat, um eine Lücke zu schließen. In der Praxis des Angeklagten machte man ihr vier. Sie waren so schief, dass sie ihre Funktion nicht erfüllen konnten – und Schmerzen verursachten. „Warum das gemacht wurde, kann man sich gar nicht erklären“, sagte die Richterin. Dass der Arzt den Eingriff unter Vollnarkose von einer Kollegin vornehmen ließ, erfuhr die Patientin erst bei ihrer Zeugenaussage vor Gericht.

Auch beim vierten Patienten sollte alles ganz schnell gehen. Der Kiefer sollte mit künstlichem Knochenmaterial aufgebaut werden, die Implantate in derselben OP folgen. Doch dabei öffnete der Zahnarzt die Mund-Nebenhöhle. Der Mann bekam eine chronische Entzündung.

Die Richterin hielt dem Angeklagten vor, kein Wort des Mitgefühls für seine Patienten geäußert zu haben, die bis heute an den Folgen leiden und weitere Behandlungen brauchen. Auch in seinem letzten Wort habe der 55-Jährige nur über sich selber gesprochen. Die Zeugen hätten dagegen eher zurückhaltend ausgesagt und sich selbst eine Mitschuld gegeben. Oeser sprach ihnen jeweils ein Schmerzensgeld von 9000 Euro zu, das ihnen der Angeklagte in den nächsten drei Jahren zahlen muss.

Ob der Mediziner aus finanziellen Gründen die Taten beging, wie der Staatsanwalt in seinem Plädoyer meinte, ließ die Richterin offen. Sie stellte lediglich fest, dass der Angeklagte nach einer Insolvenz wieder eine Praxis eröffnet habe. Da es keine neuen Beschwerden von Patienten gebe und die alten schon so lange zurücklägen, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Mit der Strafe blieb das Gericht knapp unter der Forderung des Staatsanwalts, der ein Jahr und acht Monate auf Bewährung beantragt hatte. Der Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert. Er ließ offen, ob er das Urteil anfechten werde.

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