„Wir suchen Inga. Immer.“

Stendal/Magdeburg · Es scheint, als hätte der Wald die kleine Inga einfach verschluckt. Vor zwölf Monaten war das kleine Mädchen spurlos verschwunden. Was passiert ist, liegt weiter im Dunkeln.

 Die Polizei bei der Suche nach Inga im Waldgebiet bei Wilhelmshof in Stendal. Foto:Wolf/dpa

Die Polizei bei der Suche nach Inga im Waldgebiet bei Wilhelmshof in Stendal. Foto:Wolf/dpa

Keine Spur, keine Anhaltspunkte, kein Lebenszeichen: Seit einem Jahr ist Inga verschwunden. Sie ging während eines Festes an den Waldrand, um Holz zu sammeln - und kehrte nie zurück. Was am Abend des 2. Mai 2015 in der Nähe von Stendal in Sachsen-Anhalt mit der damals Fünfjährigen aus Schönebeck passiert ist, ist ein Rätsel. Viele waren an der Suche beteiligt. Erfolglos.

Lars Bruhns ist Vereinsvorsitzender der Initiative "Vermisste Kinder" aus Hamburg. Er tut sich schwer, das Schicksal des Mädchens einzuschätzen. "Inga berührt uns immer noch", sagt er. "Sie sticht einfach aus den anderen Fällen heraus." Und das vor allem deshalb, weil es ein Verschwinden ohne Anhaltspunkte ist. Um welche zu finden, hat die Initiative mehrere Tausend Plakate verteilt und elektronische Werbetafeln bespielt.

Inga war vor einem Jahr beim Holzsammeln verschwunden, als sie mit ihren Eltern im Diakoniewerk im Stendaler Ortsteil Wilhelmshof zu Besuch war. Bei den Menschen dort wirkt das Geschehen bis heute nach, sagt ein Sprecher der Stadt Stendal. "Insbesondere für die Mitglieder unserer Feuerwehren und der anderen freiwilligen Helfer bei der Suche nach dem Kind ist dieser Tag noch gegenwärtig", heißt es in einer Erklärung.

In den ersten fünf Wochen nach Ingas Verschwinden erreichen rund 1000 Hinweise aus der Bevölkerung die Ermittler. Ohne heiße Spur. Polizisten durchkämmen Waldstücke. Hunde und Hubschrauber kommen zum Einsatz, sogar Hellseher schalten sich ein. Die Suche gipfelt in einer Plakataktion, TV-Aufrufen und einer Suchseite im Internet. "Die Seite bleibt online, bis der Fall geklärt ist", sagt Bruhns.

"Für uns ist es wichtig, das Mädchen zu finden", sagt Mike von Hoff, Sprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord in Magdeburg. Sieben Mann ist die zu Spitzenzeiten aus 40 Beamten bestehende Ermittlergruppe "Wald" noch stark. "Wir suchen Inga. Immer", sagt von Hoff. Die aktuelle Suche ist eine nach innen gekehrte. Große Suchaktionen wird es erst wieder geben, wenn es dafür einen konkreten Anlass gibt. Neue Hinweise gehen kaum noch ein.

Bruhns von der Initiative "Vermisste Kinder" möchte, dass ein deutschland- oder gar europaweites Alarmsystem in Akutfällen eingerichtet wird. "Man könnte zügig digitale Kanäle in Schnellrestaurants oder Supermärkten bespielen, zusätzlich zu Radio, Fernsehen und Internet", sagt er. Er fordert das, weil meist zu viel Zeit vergeht, bis die Bevölkerung informiert wird.

Bruhns zufolge laufen solche Alarmierungssysteme bereits erfolgreich in Polen, Tschechien oder den Niederlanden. "Die ersten Stunden sind entscheidend." Laut Bundeskriminalamt (BKA) verschwinden täglich viele Kinder, jedoch sei der Anteil derer, deren Verbleib auch nach längerer Zeit ungeklärt ist, sehr gering. Die Behörde zieht Bilanz: Von 6297 im Jahresverlauf 2015 als vermisst gemeldeten Kindern wurden 5554 bis zum Stichtag 6. April wiedergefunden. An diesem Tag waren in Deutschland, gerechnet ab 3. März 1951, insgesamt 1714 ungeklärte Fälle in der Statistik.

In Sachsen-Anhalt werden laut Landeskriminalamt (LKA) mit Stichtag 21. April neun Kinder länger als ein Jahr vermisst. "Inga würde ab 3. Mai der zehnte Fall sein", sagt LKA-Sprecher Andreas von Koß.

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Hintergrund Weltweite Aufmerksamkeit erregte der Fall der seit neun Jahren vermissten Madeleine McCann aus Großbritannien. Nun hat die Londoner Polizeibehörde Scotland Yard angekündigt, die Suche nach der damals Dreijährigen "in den nächsten Monaten" einzustellen. Madeleine war 2007 im portugiesischen Ferienort Praia da Luz spurlos verschwunden. Derzeit untersucht die Polizei eine letzte Spur: die einer Einbrecherbande, die damals im Ferienort aktiv war. ze

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