Sexuelle Belästigung Wie der Fall Weinstein Amerika verändert

Los Angeles · Immer mehr Frauen sagen „MeeToo“, immer mehr Männer stehen im Verdacht: Der Sex-Skandal in Hollywood zieht seine Kreise. Bis in die US-Politik.

 Hollywood- Produzent Harvey Weinstein

Hollywood- Produzent Harvey Weinstein

Foto: dpa/Andrew Gombert

Glaubt man dem Online-Magazin „Quartz“, sind immerhin drei Fünftel des Weges zu einer Welt ohne sexuelle Übergriffe geschafft. „Das Schlimmste liegt deutlich hinter uns“, schreibt Annalisa Merelli auf der Website. Ist das zu optimistisch gedacht, nachdem die „New York Times“ das Thema mit Vorwürfen wegen sexueller Belästigung gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein vor gerade einmal sechs Wochen ins Rollen brachte? Oder findet in den USA tatsächlich ein tiefgreifender Wandel statt?

Wie ein Lauffeuer hat sich die Diskussion seit der Causa Weinstein auf andere Gesellschaftsbereiche ausgebreitet, alle paar Tage wird das „#MeToo“ der Massen im Internet durch neue Vorwürfe unterfüttert. Frauen wagen sich zunehmend auch mit Anschuldigungen an die Öffentlichkeit, die sich auf Vorfälle von vor Jahrzehnten beziehen. Es wirkt wie ein kollektiver Befreiungsschlag – als wolle sich die US-Gesellschaft von all dem über Jahre angesammelten Schmutz, von all den düsteren Geschichten endlich lösen.

Sex-Vorwürfe gab es im Show-­Business schon immer. Doch mit dem rasanten Absturz des einst mächtigen Hollywood-Moguls Weinstein kam eine Lawine mit weitreichenden Folgen ins Rollen. Während der Produzent aus dem eigenen Filmstudio und der Oscar-Akademie flog, die Polizei ermittelt und eine Klage-Flut bevorsteht, folgte ein Domino-Effekt. Kaum wurden Vorwürfe gegen den „House of Cards“-Star Kevin Spacey laut, kündigte Netflix die Zusammenarbeit auf. Regisseur Ridley Scott schneidet Spacey aus seinem schon fertigen Spielfilm „Alles Geld der Welt“. Auch Komiker Louis C.K., der seine Schuld nach Vorwürfen mehrerer Frauen öffentlich einräumte, steht nun ohne Sender da. „Rush Hour“-Regisseur Brett Ratner wies Vorwürfe „kategorisch“ zurück, doch sein geplantes Regieprojekt über den kürzlich verstorbenen „Playboy“-Gründer Hugh Hefner liegt nun auf Eis.

Immer mehr Opfer sexueller Übergriffe brechen ihr Schweigen, wie am vorigen Sonntag beim „#MeToo“-Protestmarsch quer durch Hollywood. Und Prominente sorgen dafür, dass die Thematik in den Schlagzeilen bleibt. So schrieb die kanadische Schauspielerin Ellen Page (30) vorige Woche in einem sehr persönlichen Facebook-Eintrag über Homophobie und Sexismus in Hollywood.

Auch mächtige Männer in den Medien mussten nach Anschuldigungen von Frauen ihre Posten räumen. In der Politik hat das Thema ebenfalls hohe Wellen geschlagen. In Kalifornien schilderten 20 Frauen aus dem Politikbetrieb der „Los Angeles Times“, wie sie von Männern unangemessen berührt, belästigt oder verbal missbraucht wurden. Dem republikanischen Senatskandidaten Roy Moore aus Alabama werfen mehrere Frauen vor, ihnen nachgestellt zu haben – eine davon war zur Zeit der mutmaßlichen Tat erst 14 Jahre alt. Moore wies die Vorwürfe zurück.

Mit Paul Ryan, dem Sprecher des Abgeordnetenhauses, und Senats-Mehrheitsführer Mitch McConnell meldeten sich indes die beiden derzeit mächtigsten Mitglieder des US-Kongresses zu Wort. Beide forderten Moore auf, aus dem Rennen um den Senatssitz auszusteigen. Eine im Abgeordnetenhaus geplante Richtlinie soll künftig außerdem alle Kongressmitglieder und deren Mitarbeiter zu einem speziellen Training verpflichten, um sexuellen Missbrauch zu verhindern.

Neben diesen Vorwürfen steht der Name eines Mannes im Raum, der trotz offen sexistischer Bemerkungen im Wahlkampf ins höchste Amt der USA gewählt wurde: Präsident Donald Trump. Ob gegenüber der französischen First Lady Brigitte Macron („Sie sind so gut in Form“) oder TV-Moderatorin Mika Brzezinski – mit seinen Entgleisungen mag Trump Sexismus in Teilen der Gesellschaft salonfähiger gemacht haben.

Ob Trumps Bemerkungen in anderen Gesellschaftsbereichen wie der Wirtschaft zu mehr Übergriffen führen, lässt sich schwer messen. Eine landesweite Studie der US-Behörde für Diskriminierungsfragen stellte 2016 fest, dass zwischen 25 und 85 Prozent der Frauen schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren haben. Auch im Sport sitzt die Macho-Kultur tief, trotzdem kommen nun auch hier Vorwürfe ans Licht. Der prominenteste: US-Star-Torhüterin Hope Solo wirft Ex-Fifa-Chef Sepp Blatter vor, sie 2013 am Po begrapscht zu haben. Er streitet ab. Doch sexuelle Belästigung sei im Sport weit verbreitet, sagte Torhüterin Solo. „Es passiert nicht nur in Hollywood.“

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