"Wie am 11. September"

Köln. Es ist kurz nach 14 Uhr, als die Mitarbeiter und Besucher des Historischen Archivs von Köln plötzlich aufgefordert werden, das Gebäude sofort zu verlassen. Ein seltsames Knarzen in den Wänden hat sie misstrauisch gemacht. Augenblicke später bricht der vierstöckige Komplex mit Donnergetöse zusammen. Ganze Straßenzüge werden in Staub gehüllt

 Retter suchten gestern am eingestürzten Kölner Stadtarchiv nach Opfern des Unglückes. Fotos: dpa

Retter suchten gestern am eingestürzten Kölner Stadtarchiv nach Opfern des Unglückes. Fotos: dpa

Köln. Es ist kurz nach 14 Uhr, als die Mitarbeiter und Besucher des Historischen Archivs von Köln plötzlich aufgefordert werden, das Gebäude sofort zu verlassen. Ein seltsames Knarzen in den Wänden hat sie misstrauisch gemacht. Augenblicke später bricht der vierstöckige Komplex mit Donnergetöse zusammen. Ganze Straßenzüge werden in Staub gehüllt. Als sich der Nebel verzieht, befinden sich an der Stelle des bunkerartigen Archivgebäudes ein riesiger Schuttberg - und ein schwarzes Loch.

"Wie am 11. September", entfährt es der Kioskbesitzerin Paraskevi Oustampasiadi (42), die alles aus nächster Nähe miterlebt hat. Ihr erster Gedanke: "Nichts wie weg hier." Augenzeugen fühlen sich an ein Erdbeben erinnert. Ein Passant erzählt: "Hinter mir ist plötzlich alles zusammengebrochen, und dann kam diese riesige Staubwolke hinter mir her." Der Anwohner Jürgen Ariza y del Pino sieht auf seinem Tisch die Gläser wackeln. "Das ist alles schrecklich", sagt er. "Meine Mutter ist in der Severinstraße groß geworden."

Die Severinstraße: viel besungen, viel beschrieben. Sie ist die Heimat von Wolfgang Niedecken, hier ging Heinrich Böll ins Café. Vor einer guten Woche kam hier noch der Rosenmontagszug vorbei. Und jetzt findet sich auf 70 Metern Länge nur noch Schutt. Drei Menschen werden am Abend vermisst. Nach den drei Vermissten suchen Spürhunde. Sollten tatsächlich Menschen verschüttet worden sein, sind ihre Überlebenschancen wohl gering. "Eine schnelle Rettung ist nicht möglich", sagte der Direktor der Kölner Feuerwehr, Stefan Neuhoff. Es sei unwahrscheinlich, dass sich in dem Schutt Hohlräume befänden.

Die meisten hatten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Susanne van den Bergh zum Beispiel hatte gestern in dem Archiv in Ratsprotokollen gestöbert. Dann war sie kurz rausgegangen, um einen Kaffee zu trinken. Als sie zurückwollte, ließen Bauarbeiter sie nicht mehr hinein.

Seit Jahren wird unter der Severinstraße eine U-Bahn-Strecke, die umstrittene Nord-Süd-Bahn, gebaut. Das hat die Erde schon manches Mal erzittern lassen. Vor einiger Zeit stand plötzlich ein Kirchturm schief. Damals nahmen die Kölner die Sache noch mit Humor und sprachen vom "schiefen Turm von Köln".

Jahrelange Bauarbeiten

Doch die jahrelangen Bauarbeiten und Straßensperrungen haben längst zu Verbitterung geführt: Viele Einzelhändler haben Umsatzeinbußen erlitten, manche gingen pleite. Kurz nach dem Einsturz stand in einem Internetforum der Kommentar: "Das kommt davon, wenn man ein ganzes Viertel untergräbt." Wissenschaftler weisen jedoch darauf hin: Unter den Trümmern liegen über 1000 Jahre Kölner Geschichte.

Hintergrund

 Das Stadtarchiv wurde in den 70er Jahren erbaut. Ist der U-Bahn-Bau unter dem Gelände schuld am Einsturz?

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 Das Stadtarchiv wurde in den 70er Jahren erbaut. Ist der U-Bahn-Bau unter dem Gelände schuld am Einsturz?

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Das historische Stadtarchiv in Köln gilt als eines der größten kommunalen Archive Deutschlands. Es umfasst Dokumente aus über 1000 Jahren Kölner, rheinischer und preußischer Geschichte. Das "Gedächtnis" der Stadt Köln umfasst 65 000 Urkunden, 104 000 Karten und Pläne, 50 000 Plakate und rund eine halbe Million Fotos. Das Gebäude in der Severinstraße wurde Anfang der 70er Jahre gebaut. dpa

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