Autoerotische Todesfälle Wenn Selbstbefriedigung tödlich endet

Berlin · Autoerotische Todesfälle: Bis zu 100 Menschen ersticken in Deutschland jährlich auf der Suche nach dem besonderen Orgasmus.

„Elektriker erwürgt sich in selbst gebautem Porno-Raumschiff“ lautete die Schlagzeile der „Bild“-Zeitung. Ein Mann aus Hessen war kurz vor dem Jahreswechsel tot in seinem Hobbykeller gefunden worden – den Ermittlungen zufolge erstickte er. Der Mann sei am ganzen Körper und am Hals mit Ketten gefesselt gewesen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Man gehe von einem autoerotischen Todesfall aus – also einer tödlichen Selbstbefriedigung. Anhaltspunkte für fremde Gewalteinwirkung gebe es nicht. Laut „Bild“-Zeitung liefen noch Pornos, als der Mann gefunden wurde.

Lust durch Sauerstoffmangel, Hypoxyphilie genannt, ist laut dem Brandenburger Rechtsmediziner Harald Voß am häufigsten der Hintergrund bei autoerotischen Unfällen. Schätzungen zufolge gebe es ein bis zwei Fälle pro eine Million Einwohner in Deutschland im Jahr. Eine Zahl von 80 bis 100 Fällen, die in Artikeln dazu oft auftauchen, sei daher realistisch. „Die Dunkelziffer ist ausgesprochen hoch, das ist ein sehr seltener Fall in der Rechtsmedizin“, sagt Voß. In mehr als 30 Jahren habe er vielleicht fünf Fälle gehabt, erzählt der 59-Jährige, der in Frankfurt (Oder) arbeitet. „Wenn die Auffindesituation für die Polizei eindeutig ist, kommt das gar nicht zu uns.“

Hinweise auf einen Unfall bei der Selbstbefriedigung seien zum Beispiel: ein entblößtes Geschlechtsteil, Pornobilder, ein Spiegel in der Nähe, Fesseln, die selbst angebracht worden sein können, Folientüten über dem Kopf und wenn der Mensch alleine in einem geschlossenen Raum war und keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat.

Bekannte Fälle sind „Kill Bill“-Schauspieler David Carradine, der 2009 stranguliert in einem Kleiderschrank gefunden wurde und Sänger Michael Hutchence, der 1997 an einem Gürtel stranguliert in einem Hotelzimmer entdeckt wurde. Über Carradine sagte eine Gerichtsmedizinerin damals: „Er starb, nachdem er sich selbst befriedigt hatte.“ Im Fall von Hutchence widersprach seine Lebensgefährtin dem Gerichtsmediziner, dass es Selbstmord gewesen sei und sprach von einem missglückten Sex-Spiel. Bis heute ist der Fall unklar.

Angehörige, die die Leiche finden, räumten manchmal Dinge weg, weil die Scham so groß sei, berichtet Rechtsmediziner Voß. Dabei gehe es nicht immer nur um Hypoxyphilie. Eine alte Frau in Halle etwa habe mal ihren Sohn mit den Klemmen von Weihnachtsbaumlichtern an den Brustwarzen gefunden und die Lichter weggeräumt, bis der Notarzt gekommen sei. Verbrennungen am Körper hätten Voß aber stutzig gemacht. Die Frau habe dann eingeräumt, wie sie den Mann vorfand. Er hatte versucht, sich durch Stromschläge zu stimulieren – zu viel für sein schwaches Herz, erzählt Voß.

Meist seien Männer die Opfer autoerotischer Todesfälle, sagt er. „Das gibt es auch bei Frauen, aber es kommt seltener zum Tod, weil Frauen offensichtlich vorsichtiger sind und nicht so viele Raffinessen einbauen.“ Tatsächlich scheinen manche viel Fantasie zu haben: Mit fünf Vorhänge-Schlössern soll der Mann aus Hessen laut „Bild“ seine Würgevorrichtung gesichert haben. Um sich am Ende wieder befreien zu können, hätte er sie in der richtigen Reihenfolge öffnen müssen.

Auch ein Todesfall aus Hamburg klingt bizarr: Ein Mann soll sich laut „Frankfurter Rundschau“ mit Scheiblettenkäse belegt, eine Nylonstrumpfhose über den Oberkörper gezogen und einen Plastikregenmantel angezogen haben, in einen Taucheranzug gestiegen sein und sich dann mit einer Plastiktüte über dem Kopf vor die eingeschaltete Heizung gesetzt haben.

Aber niemand möchte doch so gefunden werden? „Die gehen ja nicht davon aus, dass sie sterben, natürlich möchte man so nicht gefunden werden“, antwortet Voß. Das Risiko werde oft unterschätzt. „Dass man bewusstlos wird, geht schneller als die Leute denken. Wenn zum Beispiel beide Halsschlagadern abgepresst werden, dauert es maximal 30 Sekunden“, sagt der Rechtsmediziner. Zugleich sei der Reiz groß: Das Gefühl der Ohnmacht oder der Gefahr steigere sicher das Empfinden.

Was ist so reizvoll daran, sich die Luft abzuschnüren? „Man vermutet, dass Sauerstoffmangel euphorisierend wirkt und zusammen mit einem Orgasmus soll es absolut Wahnsinn sein“, sagt Voß. Man gehe davon aus, dass es im Gehirn zu einem Dopaminschub komme, ähnlich wie bei einem Drogenrausch. Auch Jugendliche probierten die Praxis schon aus. Das Phänomen ziehe sich durch alle Altersgruppen.

Die Bandbreite der autoerotischen Praktiken ist groß: Neben Sauerstoffmangel und Stromschlägen spielt auch der Staubsauger eine Rolle. „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“ lautete der Titel einer Dissertation des Urologen Michael Alschibaja Theimuras von 1978. Der Arzt schilderte Fälle von Männern, die ihren Penis in eine Staubsaugerdüse gesteckt hatten und sich dabei schwer verletzten. Viele gaben das allerdings nicht zu. Einer behauptete etwa, er habe sich beim Reparieren einer Kaffeemühle am Penis verletzt, ein anderer gab an, er sei auf einen Gartenstuhl gestürzt. Theimuras‘ Schluss lautete: „Es ist anzunehmen, daß die Dunkelziffer der Masturbationsversuche mit Staubsaugern hoch ist, da diese nicht erfasst werden, solange sie keine Verletzungen verursachen.“

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