Was Ramsauer mit Verkehrssündern vorhatHomburger Verkehrsexperte hat große Bedenken

Was soll die Reform bezwecken? "Künftig sollen nur noch die Verstöße erfasst werden, die für die Verkehrssicherheit relevant sind", lautet eine Vorgabe des Ministers. Ein "einfacheres, gerechteres und transparentes" System zu schaffen, heißt die andere. Dann werde es von Autofahrern auch mehr akzeptiert

 Symbolischer Tempomesser: Er soll laut Ramsauer das Punktesystem für Verkehrssünder verständlicher machen. Foto:Kahnert/DPA

Symbolischer Tempomesser: Er soll laut Ramsauer das Punktesystem für Verkehrssünder verständlicher machen. Foto:Kahnert/DPA

Was soll die Reform bezwecken?"Künftig sollen nur noch die Verstöße erfasst werden, die für die Verkehrssicherheit relevant sind", lautet eine Vorgabe des Ministers. Ein "einfacheres, gerechteres und transparentes" System zu schaffen, heißt die andere. Dann werde es von Autofahrern auch mehr akzeptiert. Kernelement ist, insgesamt weniger Punkte zu vergeben, dabei aber besonders gefährliche Verstöße stärker ins Visier zu nehmen.

Wie werden Verstöße künftig eingestuft?

Aktuell gilt ein Katalog mit Delikten, die mit ein bis sieben Punkten bewertet werden - von Ordnungswidrigkeiten über schwerere Ordnungswidrigkeiten samt Fahrverbot bis zu Straftaten am Steuer. Sie sollen in nur noch zwei große Kategorien zusammengefasst werden: schwere Verstöße, für die es einen Punkt gibt, und besonders schwere Verstöße mit zwei Punkten. Der Autoclub Europa (ACE) mahnt, die bisherige größere Differenzierung bei den Punkten sei für den erzieherischen Effekt unverzichtbar.

Ist der Führerschein künftig schneller weg?

Die Schwelle für den Verlust der Fahrerlaubnis dürfte nach ersten Kalkulationen des Ministeriums dazu führen, dass 500 Führerscheine pro Jahr mehr eingezogen werden - bisher sind es üblicherweise 5000, bei insgesamt 52 Millionen Führerschein-Inhabern. Ramsauer verweist auf weitere Änderungen, sodass die neue 8-Punkte-Schwelle nicht viel anders sein werde als die bisherige 18-Punkte-Marke.

Was ändert sich noch?

Wiederholungstäter können sich nicht mehr wie bisher durch Teilnahme an Schulungen von bis zu sechs Punkten "freikaufen". Punkterabatt durch bloßes Absitzen eines Seminars soll es nicht mehr geben. Der "Punkte-Tacho" soll zudem als Weckruf wirken: Steht er auf rot, weil sechs oder mehr Punkte zusammengekommen sind, bekommt der Fahrer eine Verwarnung und muss zur Schulung, ohne dass es dafür einen Punktenachlass gibt.

Wann sollen Punkte wieder gelöscht werden?

Die bisherigen Speicher-Regelungen sind kompliziert. Derzeit verhindert eine neue Tat, dass erfasste Punkte gelöscht werden. Zudem werden Punkte ein Jahr nach der Tilgung aufbewahrt, was im Fachjargon "Überliegefrist" heißt. Das soll wegfallen und der Grundsatz gelten: Jeder Verstoß verjährt für sich. Punkte bleiben aber prinzipiell länger registriert - mindestens zweieinhalb Jahre und bis zu zehn Jahre.

Was passiert mit schon vorhandenen Punkten?

Die derzeit rund 47 Millionen Punkte sollen am Tag X, wenn das neue System voraussichtlich 2013 in Kraft tritt, nicht verschwinden. Sie sollen nach dem neuen Bewertungsschema umgerechnet werden. Herausfallen dürften dabei aber Delikte, für die es gar keine Punkte mehr geben soll, weil sie nicht sicherheitsgefährdend sind: etwa unzulässiges Fahren in Umweltzonen. So könnten theoretisch eine Million Bürger aus der Kartei verschwinden. dpa

Homburg. Der renommierte Homburger Verkehrsrechtsexperte Hans-Jürgen Gebhardt hält "wenig bis gar nichts" von Ramsauers Reform-Plänen. "Man kann sich nur wundern, wie Herr Ramsauer auf solche Ideen kommt. Ich habe wirklich Bedenken, dass demnächst Leute ihren Führerschein abgeben müssen, die beileibe keine Rowdys, keine Heißsporne sind, sondern bloß Vielfahrer", sagt Gebhardt. Bei dem neuen System mit acht Punkten fehle die Differenzierung. Im Grunde würden Verkehrsrowdys sogar begünstigt: "Es kann doch nicht sein, dass jemand, der fünf Minuten an einer Baustellenampel in einer Schlange steht und sich noch dranhängt an die Schlange, wenn die Ampel gerade auf Rot umgesprungen ist, in Zukunft genauso bestraft wird wie jemand, der mit 200 Sachen auf der Autobahn in hochgefährlicher Weise drängelt. Das will mir nicht einleuchten." Dass das neue System zu mehr Gerechtigkeit und zu einer größeren Akzeptanz in der Bevölkerung führt, "kann ich mir nicht vorstellen", sagt Gebhardt. tho

Foto: privat

Meinung

Verschiebe-

bahnhof

Von SZ-KorrespondentHagen Strauß

Ramsauer macht es geschickt: Gestern präsentierte er die Eckpunkte seiner Änderungsstrategie, freilich mit dem Zusatz, das parlamentarische Verfahren und die öffentliche Debatte könnten manche Dinge noch anders regeln. So setzt man alle mit ins Boot. Gleichwohl bedeutet dies aber auch: Der Minister scheint sich seiner Sache nicht gänzlich sicher zu sein. Zu Recht: Autofahrer reagieren leicht vergrätzt, wenn sie das Gefühl haben, ihnen werden neue Zumutungen abverlangt. Allerdings ist das bei Ramsauers Reformplänen bislang kaum der Fall. Insgesamt haben seine Pläne etwas von einem Verschiebebahnhof: Weniger Punkte für die Vergehen, aber auch weniger Punkte bis zum Verlust der Fahrerlaubnis.

 Symbolischer Tempomesser: Er soll laut Ramsauer das Punktesystem für Verkehrssünder verständlicher machen. Foto: Kahnert/DPA

Symbolischer Tempomesser: Er soll laut Ramsauer das Punktesystem für Verkehrssünder verständlicher machen. Foto: Kahnert/DPA

Gut ist, dass lapidare Verstöße keine Punkte mehr bedeuten. Schlecht ist, dass kaum mehr differenziert wird. Ob das zweistufige Punkte-System dem gerecht wird, ist fraglich. Heikel bleibt auch die Mitnahme der alten Punkte. Richtig ist, dass es keine Amnestie geben darf. Letztlich müssen es nun die Juristen klären.

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