Was die Gewalt besiegt

Vancouver. Eine Gedenktafel, die düstere Erinnerungen weckt, steht vor dem C.W. Jefferys Collegiate Institute in Toronto. In dieser Schule in Kanadas größter Stadt wurde vor vier Jahren der 15-jährige Jordan Manners erschossen. Der Vorfall bestürzte damals Behörden und Eltern im ganzen Land

Vancouver. Eine Gedenktafel, die düstere Erinnerungen weckt, steht vor dem C.W. Jefferys Collegiate Institute in Toronto. In dieser Schule in Kanadas größter Stadt wurde vor vier Jahren der 15-jährige Jordan Manners erschossen. Der Vorfall bestürzte damals Behörden und Eltern im ganzen Land. "Wir behalten Jordan als lebhaften und liebevollen jungen Mann in Erinnerung", heißt es auf der Gedenktafel: "Sein Tod dient als ein lauter Aufruf zum Handeln." Die Schulen würden sicherer werden, versprachen die Behörden. Sie handelten, aber auf überraschende Weise. Wer morgens vor Schulbeginn die C.W. Jefferys-Schule betritt, trifft weder Metalldetektoren noch Spürhunde an. Dafür steht im Foyer ein Buffet mit Frühstückszutaten: Käse, Brot, Jogurt, Getreideflocken, Schokoladenmilch, Karotten und Obst, Apfelmus und Orangensaft.Mit Frühstück gegen Aggressionen anzukämpfen, ist ein ungewöhnlicher Ansatz. Er entspricht indes einem wirklichen Bedürfnis: Nach dem Mord an Jordan Manners berieten sich die Schulbehörden in Toronto mit den Lehrern und Vorstehern, um Mittel gegen die Gewalt zu finden. "Das erste, was sie wollten, war ein Mahlzeitenprogramm", sagt Mena Paternostro, zuständig für Schülerernährung beim Toronto District School Board, der übergreifenden Schulbehörde. "Sie sagten uns laut und deutlich, dass ein hungriger Schüler ein aggressiver Schüler sei." Kinder mit leerem Magen seien auch ängstlicher, ruheloser und könnten sich schlechter konzentrieren.

Hungrige Kinder gab und gibt es viele in Toronto. Als der Toronto School Board nach der Tragödie zwölf- bis 19-jährige Schüler über ihre Essgewohnheiten befragte, gaben 68 Prozent der Teenager an, dass sie kein Frühstück hatten. In Toronto ist die Armutsrate höher als in anderen kanadischen Städten, viele Schüler leiden auch an Diabetes.

Erst wurden in sieben Schulen kostenlose Essensprogramme als Pilotprojekt eingeführt. Heute, nach fast drei Jahren, geben 380 von insgesamt 600 Schulen in Toronto eine Gratis-Mahlzeit aus: Frühstück, Lunch oder einen Snack am Nachmittag. Das Geld dafür kommt zu 40 Prozent von der Provinz Ontario und der Stadt Toronto, der Rest sind Spenden von Eltern, Firmen und anderen Sponsoren. Rund 125 000 Schüler, vom Kindergarten bis zu den Achtzehnjährigen, profitieren von diesem Programm, das sich "Feeding our Future" ("Unsere Zukunft nähren") nennt. Schon jetzt ist abzusehen, dass sich in Studien bestätigt, was die Lehrer schon früh vermuteten: Die gesättigten Schüler sind weniger aggressiv, sie kommen zuverlässiger zur Schule, müssen weniger häufig vom Unterricht verbannt werden, haben ein besseres Selbstwertgefühl und erreichen bessere Noten. Die Forscher der Schulbehörden fanden heraus, dass Teenager, die ein Frühstück zu sich nehmen, zum Beispiel in Mathematik und Naturwissenschaften besser abschneiden. Ältere Schüler, so ermittelten sie, die vor oder in der Schule essen, erreichten eher ein Diplom beim Schulabschluss als hungrige Mitschüler.

Die Forscher haben bislang einen direkten Zusammenhang zwischen hungrigen Schülern und deren Gewaltbereitschaft nicht wissenschaftlich untersucht. Paternostro erklärt, das Essensprogramm sei nicht nur als Vorbeugung gegen Gewalt gedacht, sondern gegen jegliche Art von Störverhalten in der Schule.

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