Prozess in Hamburg Mutmaßliche Impfschäden – was an den Vorwürfen dran ist

Vertuschung oder Fehlinterpretation? Die AfD behauptet, Millionen Menschen litten an Impfnebenwirkungen. Offizielle Stellen widersprechen vehement. Fest steht: Nur wenige Anträge auf Corona-Impfschäden werden anerkannt – das sind die Fakten.

 In den Zulassungsstudien der verschiedenen Impfstoffe traten bei bis zu 92 Prozent der Teilnehmenden leichte Impfreaktion wie etwa Schmerzen an der Injektionsstelle auf. Schwere Komplikation sind Studien zufolge „sehr selten“. (Symbolbild)

In den Zulassungsstudien der verschiedenen Impfstoffe traten bei bis zu 92 Prozent der Teilnehmenden leichte Impfreaktion wie etwa Schmerzen an der Injektionsstelle auf. Schwere Komplikation sind Studien zufolge „sehr selten“. (Symbolbild)

Foto: dpa/Alastair Grant

„Diese extrem hohe Zahl von Menschen mit Impfnebenwirkungen ist beängstigend“, ließ der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Sichert, in einer Pressemitteilung vom Juni 2022 verlautbaren. Dabei berief er sich auf Zahlen und Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Es werde gezielt der Eindruck erweckt, als wäre eine großangelegte Vertuschungsaktion im Gange.

Der Vorstand der KBV distanzierte sich daraufhin „aufs das Schärfste von den Aussagen“ des AfD-Bundestagsabgeordneten. Doch wie plausibel ist die AfD-Interpretation der vorliegenden Zahlen zu den Nebenwirkungen und Schäden durch die Schutzimpfung gegen das Coronavirus?

AfD-Anfrage sorgt für Kontroverse: Verwirrung um Impfnebenwirkungen

Alles begann mit einer Anfrage der AfD nach Zahlen der Impfnebenwirkungen im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses. Demnach gab es 2021 rund 2,5 Millionen Patienten mit Impfnebenwirkungen. Für die AfD war der Fall klar: Bei 61,8 Millionen Corona-Geimpften zu diesem Zeitpunkt hatte jede 25. geimpfte Person schwere Nebenwirkungen hatte und musste infolgedessen einen Arzt aufsuchen.

Dem widersprachen die KBV-Verantwortlichen nachdrücklich: So seien die meisten Nebenwirkungen typisch für alle Impfungen und umfassen vor allem leichte lokale Reaktionen wie Rötungen und Schmerzen an der Injektionsstelle. Zudem kann aus den Zahlen nicht abgeleitet werden, dass alle Patienten wegen der Nebenwirkungen zum Arzt gegangen sind. Im Klartext bedeutet das: Harmlose Impfreaktionen, die verhältnismäßig häufig auftreten, und echte Impfschäden, die selten vorkommen, wurden in einen Topf geworfen, um die vorliegenden Zahlen zu skandalisieren.

„Vertuschung“ schwerer Impfnebenwirkungen? PEI veröffentlicht Sicherheitsberichte

„Als ob sich jemand über Schmerz an der Einstichstelle aufregen würde und nicht darüber, dass Myokarditis und andere schwere Nebenwirkungen mit aller Macht unter den Teppich gekehrt werden“, schrieb der Nutzer Alexander N. unter einem Twitter-Post der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit dem Titel „Impfreaktionen sind normal“.

Tatsächlich sind Einzelschicksale bekannt, bei denen schwere gesundheitliche Komplikationen auf die Impfung zurückgeführt werden können. Verantwortlich für die Erfassung dieser Fälle ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Dort werden regelmäßig sogenannte „Sicherheitsberichte“ veröffentlicht. Diese schweren Impfkomplikationen werden darin aufgelistet:

  • Herzkrankheiten (etwa Myokarditis)
  • Blutgerinnsel im Gehirn (etwa Sinusvenenthrombose)
  • Gesichtslähmung
  • Muskelschwäche (Guillain-Barré-Syndrom)
  • Hörschaden (Tinnitus)

Impfschäden laut PEI-Daten äußerst selten

Die Zahlen schwerer Impfschäden liege jedoch im Promillebereich. Das heißt, gemäß den PEI-Daten sind die oben genannten möglichen Impfkomplikationen allenfalls „selten“ oder „sehr selten“. Letzteres umfasse weniger als ein Fall pro 10 000 Impfungen.

Das PEI betont dabei, „dass unerwünschte Reaktionen oftmals im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung“ stünden. Das heißt Erkrankung, die nach der Impfung auftreten, müssen nicht zwangsläufig durch diese verursacht worden sein. Zudem betont der Kardiologe Bernhard Schieffer im ZDF-Interview, dass es äußerst herausfordernd ist, festzustellen, welcher Patient tatsächlich eine mögliche Nebenwirkung aufgrund der Impfung hat.

Anträge auf Corona-Impfschäden – nur wenige werden anerkannt

Das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ hat bei den Versorgungsämtern der Bundesländer nachgefragt und festgestellt, dass bis März 2023 knapp 6 500 Anträge auf Anerkennung eines Corona-Impfschadens gestellt wurden. Von diesen Anträgen wurden zum Zeitpunkt der Abfrage 274 Fälle als Impfschadensfälle anerkannt, während mehr als 2 200 Anträge abgelehnt wurden. Die meisten Anträge befinden sich noch in Bearbeitung, wie von den Ämtern angegeben.

Den anerkannten Impfschäden werden Versorgungsansprüche bewilligt. Es handelt sich dabei jedoch nicht um Schmerzensgeld oder Schadenersatz, sondern um Versorgungsleistungen. Die Leistungen soll sich den Plusminus-Recherchen zufolge auf einige Hundert Euro im Monat belaufen.

Seit Montag, 12. Juni, wird am Landgericht Hamburg erstmals in Deutschland eine Schadenersatzklage gegen einen Impfstoffhersteller verhandelt. Neben 150 000 Euro verlangt die Klägerin, dass Biontech für mögliche materielle Schäden haftbar gemacht wird. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.

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