Verzweifelte Suche nach den Vermissten"Die Todesangst werde ich nie vergessen"

Rom. Starker Wellengang hat die Suche nach Überlebenden im Wrack der "Costa Concordia" gestern zu einem Wettlauf gegen die Zeit gemacht. Zwölf deutsche Passagiere galten auch am dritten Tag nach der spektakulären Schiffskatastrophe vor der toskanischen Insel Giglio noch als vermisst

Rom. Starker Wellengang hat die Suche nach Überlebenden im Wrack der "Costa Concordia" gestern zu einem Wettlauf gegen die Zeit gemacht. Zwölf deutsche Passagiere galten auch am dritten Tag nach der spektakulären Schiffskatastrophe vor der toskanischen Insel Giglio noch als vermisst. An Bord des Kreuzfahrtschiffes entdeckte die Feuerwehr auf dem zweiten Deck ein sechstes Todesopfer. Kurz danach musste die Suche für einige Stunden unterbrochen werden. Offensichtlich hatten die Wellen den havarierten Riesen der Meere in Bewegung versetzt. Insgesamt wurden noch mindestens 29 Menschen vermisst. Unter den zwölf deutschen Vermissten sind fünf Passagiere aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie eine Frau aus Bayern.Gegen den festgenommenen Kapitän der "Costa Concordia" werden schwerste Vorwürfe erhoben. Francesco Schettino soll das Schiff zu dicht an die Insel gelenkt und schon während der Evakuierung verlassen haben. Es war am Freitagabend mit mehr als 4200 Menschen an Bord nahe der Insel Giglio vor der toskanischen Küste gegen einen Felsen gelaufen, leckgeschlagen und dann auf die Seite gekippt.

Ein "menschlicher Fehler" ist bei der Havarie des Kreuzfahrtschiffes nach Auffassung des Chefs der Reederei Costa Crociere, Pierluigi Foschi, nicht zu bestreiten. Zwar werde die Kreuzfahrtgesellschaft ihrem Kommandanten Schettino nach der Havarie juristische Unterstützung geben, sagte Foschi, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. "Das Unternehmen hat jedoch auch die Pflicht, seine 24 000 Beschäftigten zu schützen", fügte er an. Zuvor waren die Eigner des Schiffes auf Distanz zum Kapitän gegangen.

"Es scheint, dass der Kommandant Beurteilungsfehler gemacht hat, die schwerste Folgen gehabt haben", hieß es in einer Erklärung der Kreuzfahrtgesellschaft am Sonntagabend. "Die Route des Schiffs führte offenbar zu nahe an der Küste vorbei, wobei sich die Einschätzung des Kapitäns für einen Notfall nicht mit den von Costa vorgegebenen Standards deckte." Der Kapitän sei 2002 als Sicherheitsoffizier zu Costa gekommen und 2006 Kapitän geworden. "Wie alle Costa-Schiffsführer absolvierte er regelmäßige Trainings."

Der Kapitän soll Medienberichten zufolge mehrfach von der Küstenwache aufgefordert worden sein, wieder an Bord zu gehen, um die Evakuierung des Schiffes zu koordinieren. Dies habe er jedoch nicht getan. Auch einen "SOS"-Ruf soll es zunächst nicht gegeben haben. Hunderte von Zeugenaussagen - Passagiere, Crewmitglieder und Retter - seien zum Hergang bereits aufgenommen worden, sagte der leitende Staatsanwalt von Grosseto, Francesco Verusio. Den Kapitän habe man festgenommen, weil Fluchtgefahr bestehe. Er soll heute vernommen werden.

Mehr Details zum Hergang des Unglücks erhofft man sich von der Auswertung der Blackbox des Schiffes, die ähnlich wie in Flugzeugen die Kommunikation auf der Brücke und Steuerbefehle aufzeichnet.

Saarbrücken. "Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen, dachte, ich würde meine Kinder nie wieder sehen." Die Saarbrückerin Inge Blattner ringt um Fassung, als sie erzählt, was sie auf der "Costa Concordia" erlebt hat. Erst sollte die 77-jährige Rentnerin das sinkende Schiff mit einer Schwimminsel verlassen: "Darauf gab es viel zu wenig Platz. Die Passagiere lagen etwa eine Stunde lang aufeinander, viele wurden eingequetscht. Von überall hörte ich Schreie." Weil die Schwimminsel beschädigt war und nicht zu Wasser gelassen werden konnte, musste Blattner wieder aussteigen und sich ein Rettungsboot suchen: "Ich habe gesucht und gesucht, doch die Boote waren alle besetzt. Da bin ich in Panik geraten. Die Todesangst vergesse ich nie."

Schließlich steigt Inge Blattner mit einer Strickleiter von Bord. Dabei fällt sie ins eiskalte Wasser, wird aber von Tauchern gerettet und mit einem Boot an Land gebracht.

Neben Inge Blattner waren noch mindestens fünf weitere Saarländer an Bord: ihr Lebensgefährte, ihre Schwester und deren Mann sowie zwei Freundinnen. Die sechs haben überlebt, aber Verletzungen davongetragen, unter anderem eine Lungenentzündung. "Ich habe viele blaue Flecken am Körper und bin psychisch am Ende", sagt Inge Blattner. Sie überlegt, gegen die Verantwortlichen zu klagen. Das Krisenmanagement an Bord sei skandalös gewesen: "Der Kapitän hat schlecht reagiert und uns Passagiere falsch informiert. Es hieß, es sei nichts passiert. Er hat seine Fürsorgepflicht verletzt."

Blattner hatte den Eindruck, dass die Besatzung den Ernstfall noch nie geübt hat: "Hinzu kommt, dass sich die Verantwortlichen in der Katastrophe rar gemacht haben. Wir waren ziemlich auf uns alleine gestellt. So etwas darf nie wieder passieren." gha

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