Untersuchungsbericht zum Brand des Grenfell Towers 2017 Vernichtendes Urteil für die Feuerwehr

London · 72 Menschen starben im Juni 2017 beim verheerenden Brand im Grenfell Tower in London. Ein Bericht zeigt: Es hätten weit mehr Menschen gerettet werden können.

  Das Inferno: Am 14. Juni 2017 steht der Grenfell Tower in Brand.

Das Inferno: Am 14. Juni 2017 steht der Grenfell Tower in Brand.

Foto: AP/Matt Dunham

  Zainab Deen konnte durch die Wohnungstüre hören, wie viele ihrer Nachbarn durch die Hölle rannten. Durch das Treppenhaus mit all dem Rauch, den Flammen. Atemlos. Panisch. Auch die 32-Jährige hatte Angst, hielt ihren zweijährigen Sohn Jeremiah, während sie nasse Handtücher in die Schlitze ihrer Wohnungstür stopfte, um die Rauchschwaden, die in ihr Apartment 115 krochen, aufzuhalten. Ein Mann der Notrufzentrale versuchte, sie am Telefon zu beruhigen: „Jemand kommt und holt euch.“ Sie solle nicht aufgeben, sagte der Feuerwehrmann. Zu diesem Zeitpunkt stand der Grenfell Tower im Westen Londons bereits lichterloh in Flammen, das Hochhaus ragte wie eine brennende Fackel in den Nachthimmel. Zainab Deen befolgte den Rat der Rettungskräfte. Und wartete, harrte im 14. Stock aus. Doch niemand sollte die Mutter mit ihrem jungen Kind retten. Sie starben eingeschlossen vom Feuer in ihrem Zuhause. 70 weitere Menschen kamen an jenem 14. Juni 2017 bei Großbritanniens größter Katastrophe der vergangenen Jahrzehnte ums Leben. Auslöser war ein Kühlschrank gewesen, der in einer Wohnung auf der vierten Etage durch einen elektronischen Defekt explodiert war.

Am Mittwoch und damit mehr als zwei Jahre nach dem Inferno legte die von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission nun ihren ersten Bericht vor. Es handelt sich um ein vernichtendes Urteil über die Arbeit der Feuerwehr. Deren Reaktion habe „schwerwiegende Mängel“ und „signifikante systemische Fehler“ offenbart, heißt es. Insbesondere die Anweisung der Feuerwehr an die Bewohner, in ihren Wohnungen zu bleiben, die sogenannte „Stay Put“-Regel, wird massiv kritisiert. Obwohl bereits um 0.54 Uhr der erste Notruf einging und die Einsatzkräfte nur wenige Minuten später eintrafen, begann die Evakuierung des 24-stöckigen Gebäudes erst um 2.47 Uhr. Zu spät. „Wesentlich mehr Menschen“ hätten gerettet werden können, hätte man die Regel außer acht gelassen und früher bestimmte Maßnahmen ergriffen, befand Chefermittler Martin Moore-Bick. Die Feuerwehr sei auf einen solchen Fall nicht gut vorbereitet und die eingesetzten Kräfte zu unerfahren gewesen. So wären die Einsatzleiter nicht für diese Situation ausgebildet. Zudem verweist die Kommission auf die schlechte Kommunikation, etwa in der Notrufzentrale, wo hunderte Anrufe eingingen.

Etliche Informationen von vor Ort erreichten jedoch nicht die Menschen in ihren Wohnungen.Gleichwohl lobt der mehr als 1000 Seiten umfassende Report aber auch die Feuerwehrleute vor Ort, die „Mut und Hingabe für die Erfüllung ihrer Pflicht“ gezeigt hätten.

 Das Hochhaus wurde inzwischen wieder aufgebaut, doch die Erinnerung an die Opfer des verheerenden Brandes wird durch ein grünes Herz und eine Aufschrift sowie Blumen am Bauzaun aufrechterhalten.

Das Hochhaus wurde inzwischen wieder aufgebaut, doch die Erinnerung an die Opfer des verheerenden Brandes wird durch ein grünes Herz und eine Aufschrift sowie Blumen am Bauzaun aufrechterhalten.

Foto: dpa/Frank Augstein

Die Reaktionen auf die Ergebnisse fielen derweil gemischt aus. Bei der Feuerwehr herrscht Unzufriedenheit, mitunter Wut. Man habe einer „noch nie dagewesenen Situation“ gegenübergestanden, rechtfertigte die Chefin der Londoner Feuerwehr, Dany Cotton. „Wir sind enttäuscht über die Kritik an einzelnen Kräften, die unter beispiellosen Umständen und unvorstellbaren Bedingungen gearbeitet haben, um die Leben anderer zu retten.“ Der konservative Premierminister Boris Johnson zollte gestern den Überlebenden Tribut, die für den Bericht ihre furchtbaren Erlebnisse schilderten. Sie litten unter einem „unvorstellbaren Trauma“, sagte Johnson, der von 2008 bis 2016 der britischen Hauptstadt als Bürgermeister vorstand. Er versprach: „Der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort