Verbrechen an Mädchen wühlt Indien auf

Kalkutta · Eine junge Inderin zeigt zwei Vergewaltigungen an. Kurz darauf ist sie tot. Polizei und Politik werden dafür mit verantwortlich gemacht. Ist ein Jahr nach der Gruppenvergewaltigung in Neu Delhi alles beim Alten?

Sechs Männer lauern in der Kleinstadt Madhyamgram in Indien einem Mädchen auf, schleppen es in ein Bauernhaus und vergewaltigen es nacheinander. Die Schülerin nimmt all ihren Mut zusammen und geht zur Polizei, trotz der Gefahr, als unehrenhaft zu gelten, aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden und Schande über ihre Familie zu bringen. Die Täter erfahren davon und vergehen sich als Strafe für die Anzeige noch einmal an ihr. Später fand die Polizei heraus, dass das Opfer schwanger war. So berichteten es indische Medien in den vergangenen Tagen - da war die Jugendliche schon tot. Sie starb an Silvester an schweren Verbrennungen, die ihr von Bekannten der Vergewaltiger zugefügt worden sein sollen. Diese verschafften sich laut den Berichten Zugang zur Wohnung der Familie, übergossen ihr Opfer mit Benzin und legten Feuer. "Sie wurde angezündet, damit sie vor Gericht nicht aussagen kann. So fällt der Vergewaltigungsvorwurf nämlich in sich zusammen", sagte ihr verbitterter Vater.

Seit dem grausamen Tod des Mädchens ist der Bundesstaat Westbengalen in Aufruhr, Protestzüge ziehen durch Kalkutta, und vielerorts in Indien wird diskutiert, ob sich ein Jahr nach der tödlichen Gruppenvergewaltigung in Neu Delhi nichts verändert hat. Ob Indien noch immer Frauen verachtet - trotz schärferer Gesetze gegen Sexualstraftäter, medialer Aufmerksamkeit für solche Fälle und zahlloser Kampagnen. Am 16. Dezember 2012 war in der indischen Hauptstadt eine Studentin vergewaltigt und gefoltert worden. Knapp zwei Wochen nach der Tat starb sie.

S chwere Vorwürfe werden in dem neuen Fall auch gegen die Polizei laut. Warum schützte sie die Schülerin nicht, nachdem sie sich den Beamten anvertraut hatte? Wieso konnten Männer, die von dem Vorfall hörten, das Mädchen nach den Vergewaltigungen im Oktober über Wochen hinweg immer wieder belästigen, ohne dass etwas unternommen wurde? Besonders tragisch, und eine weitere Parallele zur Gruppenvergewaltigung in Neu Delhi: Die Familie war einige Monate zuvor in den Vorort von Kalkutta gezogen, weil das Mädchen dort auf bessere Bildung hoffte. "Sie wollte Lehrerin werden und die Familie aus der Armut führen. Nun sind all unsere Träume zerstört", sagte ihre Mutter der Zeitung "Times of India". Mittlerweile wurden sechs Verdächtige festgenommen.

Auch die Regierung von Westbengalen steht in der Kritik. Denn nach dem Tod des Mädchens sollen Polizisten versucht haben, den Leichnam wegzuschaffen und einzuäschern. Damit sollte wohl verhindert werden, dass die Familie wie geplant einen Leichenzug durch Kalkutta organisieren kann, um öffentlich auf ihr Leid hinzuweisen, vermuten Oppositionspolitiker. Regierungsmitglieder hingegen unterstellen den linken Parteien, sie wollten den Tod des Mädchens politisch instrumentalisieren und für Proteste gegen die Regierung nutzen.

Das Schweigen müsse gebrochen werden, auch um den Opfern zu zeigen, dass sie keine Einzelfälle sind, erklärt Gopa Basu. Sie organisierte am Donnerstag mit mehr als 30 zivilgesellschaftlichen und Frauenrechtsgruppen eine Kulturveranstaltung, um auf die physische und psychische Gewalt gegen Frauen in Indien aufmerksam zu machen.

Verwirrung gab es um das Alter des jüngsten Opfers: Die "Hindustan Times" berichtete, das Mädchen - bisher hatte es geheißen, es sei 16 - sei erst 12 gewesen. Die Zeitung berief sich auf Schulunterlagen, auf denen als Geburtsdatum der 5. Februar 2001 stehe .

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