Verwahrlosungsdrama in Frankreich Junge (9) haust über Jahre allein in Wohnung und ernährt sich von Resten – Mutter verurteilt

Nersac · Unvorstellbar, was sich in einer kleinen Gemeinde in Westfrankreich zugetragen hat: Ein Junge hat zwei Jahre lang für sich selbst gesorgt. Mit spartanischen Mitteln hauste er in einem Wohnblock. Unbemerkt von den Nachbarn, was sich da abspielte. Jetzt wurde seine Mutter zur Rechenschaft gezogen.

 Zwei Jahre Kind (9) verwahrlost zurückgelassen. (Symbolbild)

Zwei Jahre Kind (9) verwahrlost zurückgelassen. (Symbolbild)

Foto: dpa/Annette Riedl

Eine Geschichte wie für das Drehbuch zu einem schlechten Film: Da wohnt ein kleiner Junge in einem Miethaus. Von seiner Mutter sich selbst überlassen. Zwei Jahre geht das so. Niemandem aus der Nachbarschaft fällt das in dieser Zeit auf. Obwohl sie ihn ab und zu mit Lebensmitteln versorgt haben sollen. Als Behörden dann doch darauf aufmerksam werden, zeigt sich ein dramatisches Bild.

Mit Lebensmittel-Konserven und Kuchen hielt er sich über Wasser

Das heute 13 Jahre alte Kind ernährte sich über Jahre mit Resten und Konserven. Ab und zu gab’s Tomaten vom Balkon nebenan, die er sich dort stibitzte. Doch ansonsten ungesundes Essen, darunter abgepackter süßer Kuchen, wie Verpackungsreste in seiner Mülltonne belegen.

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Foto: dpa/dpaweb/-

All das spielte sich zwischen 2020 und 2022 ab. Eine Tortur für den Schüler, der zudem ohne warmes Wasser und Heizung in seinen vier Wänden allein hauste. Zwei Jahre, bis Anwohner schließlich doch die Polizei alarmierten. Jetzt wurde seiner Mutter der Prozess gemacht.

Was die Staatsanwaltschaft über die Mutter herausfand

Schier fassunglos sollen sich währenddessen Staatsanwaltschaft und Richter gezeigt haben. Darüber berichtet die Tageszeitung Charente Libre. Sie schildert sowohl von der Gerichtsverhandlung als auch über die Umstände dieser unglaublichen Story, die sich in der rund 2300 Einwohner zählenden Gemeinde Nersac zugetragen hat. In einer unscheinbaren Wohnblocksiedlung der westfranzösischen Kommune.

Doch wo steckte seine Mutter während all der Jahre? Die 39-Jährige soll sich die meiste Zeit im rund fünf Kilometer entfernten Ort Sireuil aufgehalten haben. Dort lebte sie im Haus ihrer Partnerin. Vom Vater des gemeinsamen Kindes getrennt, wie der Radiosender France Bleu berichtet. Ohne ihren Sohn mitzunehmen. Bei ihm habe sie lediglich ab und zu vorbeigeschaut, um ihm etwas zu essen vorbeizubringen.

Noch nicht einmal zur Schule brachte sie ihren Sohn

Sie habe sich noch nicht einmal darum gekümmert, dass der Junge zur Schule ging. Das hat er von sich aus getan, wie die Vernehmungen ergaben. Er sei für sein Alter aus der Not heraus sehr reif und selbstständig. Trotz der widrigen Umstände erschien er im Unterricht offensichtlich so gepflegt, dass sein Martyrium den Lehrern wohl nicht auffiel. Zudem habe er gute Noten geschrieben.

Bekannt soll lediglich gewesen sein, dass er aus schwierigen familiären Verhältnissen stammt. Dennoch ließ dies bei den Beteiligten über eine lange Zeit keine Alarmglocken schrillen.

Gericht widerlegt Aussagen der Angeklagten

Zunächst habe der heute neun Jahre alte Schüler bei seinem älteren Bruder gelebt, später dann allein in der Siedlung. Mittlerweile sei er bei einer Pflegefamilie untergebracht, nachdem das Drama aufgedeckt wurde. Mit seiner Mutter wünsche er keinen Kontakt.

Vor dem Tribunal versuchte sich die Frau, die keiner geregelten Arbeit nachgehen soll, herauszureden. Dabei weinte sie auch vor Gericht, heißt es in dem Zeitungsbericht. Sehr wohl habe ihr Sohn auch bei ihr im Nachbarort geschlafen. Doch das nahmen ihr die Richter nicht ab. Zumal die Beweislage erdrückend gewesen sein soll, die das ganze Gegenteil nahe legten.

Gefängnisstrafe und elektronische Fessel

Letztlich verurteilte sie die Kammer in Angoulême, der nahen Hauptstadt des Départements Charente wegen Kindesvernachlässigung zu anderthalb Jahren Gefängnis. Allerdings setzten die Richter davon ein Jahr zur Bewährung aus. Die verbleibenden sechs Monate muss sie nun eine elektronische Fessel tragen.

Was sie zu der Mutter werden ließ, die ihr Kind dermaßen im Stich ließ, darauf gab es während des Prozesses keine Antwort. Die Angeklagte gab währenddessen selbst erkennend zu verstehen, dass sie keine fürsorgende Mutter sei. Aber das Kind bleibe ihr Sohn. Worauf ein Gutachter ihr attestierte: „Sie sind etwas passiv.“

Mahnende Worte der Staatsanwältin an die Mutter

Immer in Erinnerung, dass sich der Junge in der spartanisch eingerichteten Wohnung über Jahre in mehrere Bettdecken in seinem Zimmer nachts zum Schlafen einigelte, um nicht zu frieren. Angesichts dessen sagte die Staatsanwältin noch vor der Urteilsverkündung an die Frau auf der Anklagebank gewandt: „Sie muss einsehen, was sie ihrem Sohn angetan hat.“