Coronavirus Bürgerjournalisten unter Chinas Knute

Peking · In Zeiten des Coronavirus greifen immer mehr Menschen in China selbst zur Handy-Kamera und berichten über das, was die Staatsmedien verschweigen.

  Während Chinas Staatsmedien über neu gebaute Krankenhäuser und Evakuierungen – wie hier in einer öffentlichen Wohnsiedlung – berichten, bringen Bürgerjournalisten Einzelschicksale von Virus-Betroffenen ans Licht.

Während Chinas Staatsmedien über neu gebaute Krankenhäuser und Evakuierungen – wie hier in einer öffentlichen Wohnsiedlung – berichten, bringen Bürgerjournalisten Einzelschicksale von Virus-Betroffenen ans Licht.

Foto: dpa/Kin Cheung

Nach zwei Wochen Bürgerreportage aus dem Epizentrum der Coronavirus-Epidemie in China war Chen Qiushi nur noch ein Schatten seiner selbst. Zerzaust und hager blickte der 34-jährige Video-Blogger in die Kamera. Kaum etwas erinnerte noch an den energischen jungen Mann, der mit dem selbst erklärten Ziel nach Wuhan gereist war, den Einwohnern der seit fast drei Wochen abgeriegelten Stadt über die Zustände dort zu berichten. Er musste nicht nur das Virus fürchten, sondern auch die Behörden. Inzwischen ist er verschwunden.

Chen hat Kranke und Tote gefilmt, überfüllte Krankenhauskorridore und den Kampf der Einwohner um eine Behandlung. Im Januar berichtete er von einer Leiche unter einer Decke vor einer Notaufnahme. In einem anderen Spital filmte er einen totenbleichen Mann in einem Rollstuhl, dessen Kopf vornüber hing. „Was fehlt ihm?“, fragte er eine Frau, die den leblosen Körper aufrecht hielt. „Er ist schon tot“, antwortete sie. Chen ist eines der bekanntesten Gesichter einer kleinen, aber beharrlichen Bewegung, die das strikte Informationsmonopol der Kommunistischen Partei Chinas herausfordert. Bewaffnet mit Smartphones und Nutzerkonten in Sozialen Medien berichten diese Bürgerjournalisten von sich selbst und über andere aus Wuhan und anderen abgeriegelten Regionen in der Provinz Hubei. Das Ausmaß dieser nicht genehmigten Berichte ist beispiellos, verglichen mit früheren Epidemien und Katastrophen in China.

„Das unterschiedet sich sehr von allem, was wir bisher gesehen haben“, sagt die Kommunikationsexpertin Maria Repnikova, die an der Georgia State University zu chinesischen Medien forscht. Noch nie hätten so viele Chinesen ihre Mobiltelefone genutzt, um ihre Erfahrungen mit einer Katastrophe zu senden. Auch Opfer und Krankenhausmitarbeiter seien dabei. 

Staatliche Medien lobpreisen den Einsatz der Kommunistischen Partei, die in atemberaubendem Tempo Krankenhäuser bauen lässt, medizinisches Personal zu Tausenden in die Krisengebiete schickt und die Produktion von Schutzmasken hochfährt. Doch die Zustände, die diesen Riesenaufwand überhaupt nötig machen, werden nicht groß geschildert. In diese Lücke stoßen Bürgerjournalisten. „Warum bin ich hier?“, fragt Chen auf einem Video vor einem Bahnhof. „Ich habe gesagt, es ist meine Pflicht, ein Bürgerjournalist zu sein. Was für ein Journalist bist du, wenn du dich nicht traust, dich bei einer Katastrophe in die vorderste Linie zu stürzen?“

Chen hat binnen zwei Wochen mehr als 100 Posts und Videoblogs gesendet. Millionen haben sie angeklickt – darunter allerdings auch die Polizei. Nach knapp einer Woche in Wuhan berichtete er beklommen in einem Video, die Polizei habe ihn angerufen und wissen wollen, wo er sei. Seine Eltern seien befragt worden. „Ich habe Angst“, sagte er da. „Vor mir ist das Virus und in meinem Rücken die juristische und behördliche Macht Chinas.“ Mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen versicherte er, weiterzumachen, „so lange ich in dieser Stadt am Leben bin“.

Ende vergangener Woche versiegten Chens Posts. Am Freitagmorgen meldete sich seine Mutter mit einem Video. Chen sei unerreichbar, sagte sie und bat um Hilfe. Am Abend sagte Chens Freund, der bekannte Kampfsportler Xu Xiaodong auf Youtube, Chen sei gewaltsam für 14 Tage in Quarantäne gesteckt worden. Dieser Zeitraum gilt als längstmögliche Inkubationszeit für das Virus. Am Sonntag twitterte Xu, ihm und anderen sei es nicht gelungen, Kontakt mit Chen aufzunehmen. Dieser sei gesund gewesen und habe keine Anzeichen einer Infektion gezeigt.

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