Touristen sind verunsichert Italien und die Folgen der Corona-Krise

Codogno/Rom · Mehr als 200 Infektionen gibt es inzwischen im Norden des Landes. Nicht nur Touristen aus Deutschland sind verunsichert.

Roberto Cighetti lebt in Codogno, dem Epizentrum der Krise. Alle Geschäfte bis auf Apotheken und Supermärkte sind geschlossen. Die Straßen sind leerer als sonst, manche Einwohner gehen spazieren – allerdings mit mehr Abstand voneinander als normalerweise. Man bleibt unter sich, in der Familie. Trifft keine Freunde. So erzählt es der 33-Jährige. Die Stadt mit rund 15 000 Einwohnern ist eine von mehreren Gemeinden südlich von Mailand, die nun Sperrzone sind. Dutzende Menschen haben sich dort mit dem Coronavirus angesteckt.

„Es gibt Familien, die sind entspannt“, sagt Cighetti, der an einer Schule in der Region unterrichtet. „Es gibt Familien, die sind besorgt, vor allem wenn ein Infizierter unter ihnen ist. Und es gibt Familien, die sind grundlos in Panik.“ Er findet den Vergleich zwischen Codogno mit der Stadt Wuhan nicht passend – in der chinesischen Millionenstadt brach das Virus erstmals aus. „Wir sind eine kleine Stadt, im Gegensatz zu Wuhan nicht dicht besiedelt, umgeben von Natur und mit vielen Parks“, sagt er. Und in Codogno dürften die Einwohner aus den Häusern. Er bedauert die vielen Falschmeldungen, die über den Ausbruch in sozialen Netzwerken und auf Whatsapp kursierten. „Ich vertraue nur offiziellen Daten.“

In der Provinz wurden mehrere Gemeinden abgeriegelt. Hier sollen Sicherheitskräfte dafür sorgen, dass niemand raus oder reinfährt. Die Sorge ist groß, dass sich das Virus in die Millionenmetropole Mailand einschleicht. Mehr als 200 Fälle gibt es mittlerweile in Italien – sechs Menschen starben. Und obwohl die Toten in Italien bislang alles ältere Menschen mit Vorerkrankungen waren: Es macht sich Panik breit.

In Mailand berichten Bewohner von „surrealen Szenen“. Die Regale in Supermärkten seien leer, erzählt die Mailänderin Vita P. Kekse, Pasta, Milch: Alles weg. Restaurants seien zu, viele Firmen hätten ihre Mitarbeiter angewiesen von zuhause zu arbeiten.

Mailand ist mit mehr als 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Italien und das Wirtschafts- und Finanzzentrum. Wenn sie zum Stillstand kommt, sind die Folgen für die Wirtschaft besonders gravierend. Auch viele deutsche Unternehmen haben in der Region ihren Sitz. „Wir geben den Ratschlag an unsere Mitgliedsunternehmen, das vom Homeoffice zu erledigen, was zu managen ist“, sagt Jörg Buck, Vorstand der Deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand. Zudem rief er zu einem „verantwortungsbewussten“ Umgang mit Dienstreisen auf. Will heißen: Video- oder Telefonschalten sind derzeit besser als der Besuch in Italien. Wenn die Lage so weiterginge, habe das natürlich Auswirkungen auf die Geschäfte.

Auch der Tourismus wird die Folgen wohl klar zu spüren bekommen. Besonders über die Karnevalszeit kommen auch viele Deutsche nach Italien, entweder zum Skifahren in den Alpen oder sie besuchen Städte wie Venedig. Dort wurde der Karneval mittlerweile abgesagt. „Erst waren wir verunsichert, dass wir gesagt haben: Oh Gott, müssen wir jetzt hier bleiben, kriegen wir jetzt Quarantäne?“, erzählt Regina Stronk aus Hamburg, die mit einer Gruppe zum Karneval nach Venedig gereist ist. Nachdem sich die „erste Schockstarre“ gelegt habe, seien sie ganz ruhig. „Das Leben geht weiter. (...) Wir werden nicht in Panik verfallen und sofort den Koffer packen und nach Hause fahren“, sagte die 56-Jährige. Der eine oder andere sei zwar frühzeitig abgereist, „aber unsere Truppe ist guten Mutes. Wir genießen Venedig mit weniger Leuten.“

Italien lebt vom Tourismus. Nun sind Museen, Kirchen und Sehenswürdigkeiten in ganz Venetien und der gesamten Lombardei geschlossen. Modeschauen auf der Mailänder Fashion Week gab es nur noch online zu sehen. Serie-A-Fußballspiele wurden abgesagt. 

Zivilschutzchef Angelo Borrelli versucht entsprechend die Ängste von Touristen zu vertreiben. „Unser Land ist sicher, und man kann beruhigt hierher kommen“, sagt er bei seinem täglichen Pressebriefing in Rom. Allerdings: Nachrichten von blockierten Zügen auf der Hauptbahnverbindung zwischen Italien, Österreich und Deutschland verunsichern weiter. Wer will schon am Brenner stundenlang feststecken, wie in der Nacht zu Montag Hunderte Passagiere auf dem Weg von Venedig nach München?

Die große Frage ist: Wieso kam es zu dem Ausbruch? Und wieso in diesen Regionen? Hat die Regierung das Problem unter den Teppich gekehrt und unterschätzt, wie Oppositionschef Matteo Salvini bereits verkündete? Das Problem ist, dass niemand weiß, wer „Patient 0“ ist, also der bekannte Ersterkrankte, der andere ansteckte. Das besonders Vertrackte: Viele Erkrankte haben gar keine Symptome und können das Virus somit unbemerkt auf andere übertragen.

Italien hatte schon vor Wochen Direktflüge von und nach China verboten und den Notstand ausgerufen. „Es hätten aber alle europäischen Staaten die Flüge blockieren müssen, um den Virus aufzuhalten“, kritisierte Epidemiologe Pier Luigi Lopalco in der Zeitung Il Messaggero. Denn so könnten eventuell Infizierte über Gabelflüge aus China nach Italien gekommen sein.

 In der norditalienischen Metropole Mailand, Hauptstadt der Lombardei, tragen auch Soldaten Schutzmasken. Die Region ist am stärksten vom Coronavirus betroffen.

In der norditalienischen Metropole Mailand, Hauptstadt der Lombardei, tragen auch Soldaten Schutzmasken. Die Region ist am stärksten vom Coronavirus betroffen.

Foto: dpa/Claudio Furlan

Es gebe zwei Erklärungen, warum nun gerade Italien betroffen sei. „Die erste ist, dass wir es entdeckt haben und die anderen Länder bisher noch nicht“, sagte Lopalco. Die zweite sei, dass die Lombardei und Venetien enge Wirtschaftsbeziehungen zu China hätten und die Gegend stark besiedelt sei. „Aber wenn wir in Deutschland oder Spanien so viele Tests machen würden wie hier, könnten wir nicht ausschließen, dass mehr Fälle ans Licht kämen.“

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