„Sie ist unser Sonnenschein“

München · Hätten die Ärzte die Trisomie 21 schon im Mutterleib festgestellt, wäre die kleine Jasmina womöglich nicht auf der Welt. Vor Gericht ging es um die Frage, ob ihre Behinderung als Schaden zu werten ist.

Jasmina tollt über den Gerichtsflur. Als die Eltern hinter der weißen Türe des Saales E.37 verschwinden, kümmert sich der zwölfjährige Bruder um die Vierjährige mit Down-Syndrom . Im Rechtsstreit mit Frauenärzten wollen die Eltern Ersatz für den finanziellen Schaden erreichen, der ihnen durch die Unterhaltskosten für das Mädchen entsteht, dazu Schmerzensgeld. Sie argumentieren, sie hätten die Schwangerschaft abbrechen lassen, wenn sie von der Behinderung gewusst hätten. Die Richter sehen am Donnerstag am Ende der Verhandlung am Oberlandesgericht München kein Versäumnis des Arztes und weisen die Klage ab.

"Es geht um ein schweres Schicksal, über das wir verhandeln", sagt der Vorsitzende Richter Thomas Steiner an die Eltern gerichtet. "Wir verstehen sehr gut, dass Sie als Eltern mit einem kranken Kind diese Fragen stellen und wollen, dass dem durch ein Gericht nachgegangen wird." Dennoch sei auch nach Anhörung eines Sachverständigen kein ärztlicher Fehler erkennbar. Die Frage, ob sie das Kind bei einer sicheren Diagnose wirklich abgetrieben hätten, müssten sie hier nicht mehr beantworten.

Jetzt ist Jasmina das Nesthäkchen, der Liebling der Familie. "Sie ist unser Sonnenschein", sagt der Vater, und die Mutter nickt. Aber sie sagt auch: "Es ist schwierig." Enttäuscht nimmt die Familie das Urteil auf. Drei Kinder hat das Paar, als die Mutter, damals 28 Jahre alt, 2009 an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Sie wird wieder schwanger. Und macht sich Sorgen. Wegen der Medikamente, die sie nehmen muss. Weil ein behindertes Kind sie überfordern würde.

Sie fragt Ärzte um Rat, wird nach München zu Spezialisten geschickt. Diese stellen in Ul traschall-Untersuchungen keine Auffälligkeiten fest. Vielleicht ist das Nasenbein minimal verkürzt. Aber die übrigen Parameter sind normal. Die Mutter ist jung, hat also kein besonderes Risiko für ein Down-Kind. Am 19. Mai 2011 kommt die kleine Jasmina zur Welt - mit Trisomie 21 und Herzfehler.

"Wie geht es denn Ihrer Tochter?", fragte Richter Steiner zu Beginn der Verhandlung. "Mit dem Herz geht es soweit gut, aber sie ist sehr oft krank", sagt die Mutter. Ihre Tochter gehe in den Kindergarten, müsse aber rund um die Uhr betreut werden. "Sie macht nicht das, was andere Kinder machen." Auch mit fast fünf Jahren trage sie Windeln.

Nur eine begrenzte Zahl von Fehlbildungen muss nach der Betreuungsrichtlinie für schwangere Frauen erkannt werden. Die Trisomie 21 gehört nicht dazu. Ebenso wenig der - seltene - Herzfehler des Mädchens, wie ein Sachverständiger sagte. Ein Zusammenhang zwischen Down-Syndrom und MS-Medikation ist Experten zufolge ebenfalls nicht bekannt.

Immer öfter müssen Gerichte über mögliche Arztfehler befinden. "Es ist durchaus eine höhere Klagebereitschaft da", sagt Karl Oliver Kagan, Leiter der Abteilung für pränatale Medizin an der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.

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