Katastrophe Erdbeben erschüttern die Türkei und Syrien – Opferzahl steigt rapide – Hilfe läuft an

Update | Ankara/Damaskus · Dramatische Szenen schildern Augenzeugen nach mehreren Erdbeben in der Nacht auf Montag. Dabei sollen viele Menschen in Syrien und der Türkei gestorben sein. Die Behörden melden ständig steigende Zahlen.

Zerstörung: schwere Erdbeben in Syrien und der Türkei
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Schwere Erdbeben in Syrien und der Türkei

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Foto: dpa/Anne Pollmann

Nach den Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion ist die Zahl der Todesopfer auf etwa 1500 gestiegen. In Syrien meldeten der stellvertretende Gesundheitsminister Ahmed Dhamirijeh sowie die Rettungsorganisation Weißhelme am Montag insgesamt 590 Tote. Mehr als 1600 Menschen wurden verletzt. Angesichts vieler Verschütteter werde die Zahl der Todesopfer vermutlich noch steigen, teilten die Weißhelme mit.

Allein in der benachbarten Türkei kamen durch die Folgen der Erdbeben 912 Menschen ums Leben. Mehr als 5300 Menschen seien verletzt worden, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag. Mehr als 2400 Menschen seien aus den Trümmern gerettet worden.

Erste Erdbeben lange vor Sonnenaufgang

Auf beiden Seiten der Grenze wurden die Bewohner mehrere Stunden vor Sonnenaufgang vom ersten Beben aus dem Schlaf gerissen und eilten in einer kalten und regnerischen Winternacht nach draußen. In einem Gebiet von den syrischen Städten Aleppo und Hama bis in das türkische Diyarbakir, mehr als 330 Kilometer nordöstlich, stürzten Gebäude ein.

Rettungskräfte und Anwohner suchten verzweifelt nach Überlebenden unter den Trümmern. In der Türkei stürzte ein Krankenhaus ein, aus medizinischen Einrichtungen in Syrien wurden Patienten evakuiert, darunter Neugeborene.

In der türkischen Stadt Adana berichtete ein Bewohner, dass drei Gebäude in der Nähe seines Hauses eingestürzt seien. Ein Überlebender habe aus den Trümmern gerufen, er habe keine Kraft mehr, sagte Muhammet Fatih Yavus. In Diyarbakir baten Rettungskräfte um Ruhe, als sie unter den Trümmern eines elfstöckigen Gebäudes nach Überlebenden suchten. Sie zogen schließlich einen Mann heraus und trugen ihn durch eine dichte Menge von Hunderten Menschen, die den Einsatz besorgt beobachteten.

Auf der syrischen Seite der Grenze erschütterte das Beben von der Opposition kontrollierte Regionen, in denen rund vier Millionen Menschen leben, die wegen des Bürgerkriegs aus anderen Teilen des Landes vertrieben wurden.

Die ohnehin überlasteten Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser waren nach Angaben der Rettungskräfte schnell überfüllt. Andere mussten geräumt werden, darunter eine Entbindungsklinik, wie die medizinische Organisation SAMS mitteilte. „Wir befürchten, dass die Zahl der Toten in die Hunderte geht“, sagte der Arzt Muhib Kaddur telefonisch aus der Stadt Atmeh.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan teilte auf Twitter mit, es seien umgehend Such- und Rettungsteams in die betroffenen Gebiete entsandt worden. „Wir hoffen, dass wir diese Katastrophe gemeinsam so schnell wie möglich und mit dem geringsten Schaden überstehen werden“, schrieb er.

Der Präsident sprach von mindestens 912 Todesopfern in zehn türkischen Provinzen. Die Zahl der Verletzten wurde mehr als 5400 angegeben. In den syrischen Gebieten, die von der Regierung kontrolliert werden, kamen nach offiziellen Angaben 326 Menschen ums Leben, in den Rebellengebieten waren es nach Schätzung der Zivilschutzorganisation Weißhelme mindestens 150.

In der Türkei verursachten Menschen, die betroffene Regionen verlassen wollten, Staus und behinderten damit die anrückenden Notfallteams. Die Behörden riefen die Menschen auf, nicht auf die Straße zu gehen. Moscheen in der Region wurden als Schutzräume für Menschen geöffnet, die bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nicht in ihre beschädigten Häuser zurückkehren konnten.

Das Beben riss auch Bewohner des Libanon aus dem Schlaf und ließ etwa 40 Sekunden lang Gebäude schwanken. Viele Einwohner von Beirut verließen ihre Häuser und gingen auf die Straße oder fuhren mit ihren Autos von den Gebäuden weg.

Die Rettungsorganisation Weißhelme sprach ihrerseits von vielen Toten. „Wir reagieren mit allem, was wir können, um diejenigen zu retten, die unter den Trümmern liegen“, sagte der Leiter der Gruppe, Raed Al Saleh. „Die Lage ist sehr tragisch“, sagte ein Mitglied der Gruppe.

In der Türkei sind nach Angaben des Innenministers mehrere Provinzen betroffen. Gebäude seien eingestürzt. Rettungsteams aus dem ganzen Land würden zusammengezogen. Man habe zudem die Alarmstufe vier ausgerufen und damit auch um internationale Hilfe gebeten. Es sei zu insgesamt 22 teils starken Nachbeben gekommen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schrieb auf Twitter, „wir hoffen, dass wir diese Katastrophe gemeinsam in kürzester Zeit und mit möglichst geringem Schaden überstehen.“

Griechenland erklärte sich trotz der schweren Spannungen mit der Türkei bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet im Nachbarland zu schicken. „Griechenland wird sofort helfen“, erklärte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.

Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr.

Bei einem der folgenschwersten Beben der vergangenen Jahre kamen im Oktober 2020 in Izmir mehr als 100 Menschen ums Leben. Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17 000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.

Israel bietet Hilfe nach Erdbeben in der Türkei an

Israel will der Türkei nach dem schweren Erdbeben humanitäre Hilfe leisten. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant wies Armee und Verteidigungsministerium am Montag an, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. „Unsere Sicherheitskräfte sind bereit, jegliche notwendige Hilfe zu leisten“, sagte Galant. Israel habe Erfahrung mit Notfällen und dem Retten von Menschenleben.

Der israelische Rettungsdienst Zaka teilte mit, man bereite die Entsendung einer Hilfsdelegation vor. Diese solle bei der Suche in eingestürzten Häusern helfen. Der israelische Außenminister Eli Cohen sprach der Türkei angesichts des schweren Erdbebens sein aufrichtiges Beileid aus und kündigte ebenfalls Hilfe seines Ministeriums an.

EU bereitet Hilfe für Erdbeben-Opfer vor

Die EU-Spitzen haben sich erschüttert über das schwere Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Hunderten Toten gezeigt. „Wir trauern mit den Familien der Opfer“, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montagmorgen auf Twitter. Sie sagte den Menschen in der Türkei und in Syrien Solidarität der EU zu. Unterstützung sei bereits auf dem Weg und man sei bereit, „weiterhin auf jede erdenkliche Weise zu helfen“. Zuvor hatte das EU-Zentrum für Katastrophenhilfe bereits begonnen, die Entsendung europäischer Rettungskräfte in die Türkei zu koordinieren.

Russland bereitet nach eigenen Angaben eine Entsendung von Rettungsteams in die Türkei und nach Syrien vor. Der Minister für Katastrophenschutz, Aleksandr Kurenkow, teilte am Montag mit, 100 Such- und Rettungskräfte stünden für die Erdbebengebiete bereit. Sie sollten mit zwei Transportmaschinen vom Typ Iljuschin Il-76 in die Türkei gebracht werden. Der russische Präsident Wladimir Putin bekundete in Telegrammen an die Staats- und Regierungschefs von Syrien und der Türkei sein Beileid und bot ebenfalls Hilfe an.

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