Radfahrer im Schilder-Krieg

Berlin · Glasscherben, Hundeleinen, unachtsame Touristen – Fahrradfahren in der Stadt treibt den Puls schnell hoch. Ein Berliner Anwalt hat ein ganz spezielles Feindbild gefunden: die Radwegbenutzungspflicht.

Wer in der Berliner Innenstadt viel Fahrrad fährt, ärgert sich über zugeparkte Radwege, Kopfsteinpflaster und Baumwurzeln, die den Asphalt durchbrechen. Aber über das runde, blaue Schild mit dem weißen Fahrrad darauf? Warum sollten sich ausgerechnet Radfahrer über ein Schild ärgern, das ihnen im umkämpften Hauptstadtverkehr eine eigene Spur beschert?

Den 47 Jahre alten Anwalt Andreas Volkmann versetzt das Schild so sehr in Rage, dass er regelmäßig dagegen klagt. Und das seit 1998. Rote Outdoor-Jacke, neongelbes Schutz-Band am Hosenbein, schwarzer Fahrradhelm - Volkmann trägt die Insignien überzeugter Stadtverkehrs-Radfahrer. "Ich fahre gern schnell", sagt er. "Dieses Gegurke" mit dem Hollandrad, das sei nicht seins. "Ich schmeiß' mich gerne in den Verkehr." Einen Führerschein hat er gar nicht erst gemacht.

Die Straßenverkehrsordnung listet das runde, blaue Schild als Zeichen Nr. 237 auf. Es verbietet Autos oder Motorradfahrern, auf dem Radweg zu fahren. Umgekehrt gebietet es aber auch: "Der Radverkehr darf nicht die Fahrbahn, sondern muss den Radweg benutzen."

Seit der Fahrradnovelle von 1997 dürfen die blauen Schilder nur noch aufgehängt werden, wenn "aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt" - die Stelle, an der das Schild steht, muss also besonders gefährlich sein. So hat es das Bundesverwaltungsgericht 2009 auf höchster Ebene bestätigt.

Und da Volkmann nicht nur Radfahrer , sondern auch durch und durch Jurist ist, prüft er nun bei jedem blauen Schild, dem er begegnet, ob es diese Voraussetzungen erfüllt. Ist er der Ansicht, dass das nicht der Fall ist, erhebt er bei der Verkehrslenkung Widerspruch. Im Zweifel zieht er vor Gericht. Seit 1998 zählt Volkmann 82 Widersprüche und 47 Klagen. In zwei Drittel der Verfahren war er nach eigenen Angaben erfolgreich.

Volkmann klagt im eigenen Namen, Mandanten gewinnt er mit dem Thema nicht. "Wer bezahlt denn einen Anwalt dafür, dass er gegen ein Radschild vorgeht", sagt er selbst. Das sei nur etwas für Freaks, für Paradiesvögel. Von Dritten habe er gehört, dass die Mitarbeiter der Verkehrslenkung ihn für einen Spinner halten. Volkmann treibe die Verwaltung an, sagt die Sprecherin des Ressorts für Stadtentwicklung in Berlin , Petra Rohland. Die Urteile verschöben aber auch Prioritäten. Eine Änderung an einer anderen Kreuzung, die vielleicht wichtiger sei, müsse dann hintanstehen.

Telefoniert haben die Kontrahenten noch nie miteinander. Die Kommunikation laufe ausschließlich schriftlich, sagt Volkmann. Damit er vor Gericht auch etwas vorlegen könne. Dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) gefällt diese Strategie nicht: Besser sei es, direkt mit der Verkehrsbehörde zu sprechen, heißt es bei der Pressestelle. Denn selbst durch ein gewonnenes Gerichtsverfahren entstehe kein Meter guter Radweg.

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