Schwelender Konflikt Ein heiliger Baum spaltet Australien

Ararat · Unter dem Geburtenbaum im Süden des Landes haben Aborigines-Frauen seit Jahrhunderten Kinder zur Welt gebracht. Jetzt soll er für eine neue Straße abgeholzt werden.

 Aus Protest gegen die geplante Abholzung haben Umweltschützer ein Camp errichtet.

Aus Protest gegen die geplante Abholzung haben Umweltschützer ein Camp errichtet.

Foto: dpa/Christoph Sator

Auf den ersten Blick ist es ein Baum wie jeder andere. Ein Roter Eukalyptus, mächtig zwar, mit einem sieben Meter dicken Stamm, mit riesigen Ästen und mehr als 30 Meter hoch. Aber solche Exemplare gibt es in Australien viele. Nur wer genauer hinschaut, sieht den Hohlraum im Inneren des Stamms und die Markierungen dort. Hier haben Aborigines-Frauen, Ureinwohnerinnen des fünften Kontinents, im Lauf der Jahrhunderte wohl schon viele Tausend Kinder zur Welt gebracht.

Der Eukalyptus ist ein sogenannter Geburtenbaum, mehr als 600 Jahre alt. Im Boden drumherum haben viele Generationen Aborigines nach Entbindungen die Plazenta vergraben, den Mutterkuchen. Für den Stamm der Djab Wurrung, der hier schon zu Hause war, lange bevor die Weißen kamen, ist der Baum heilig und die Erde auch. Einer der Männer, Zellanach Djab Mara, sagt: „Diese Bäume haben dieselbe DNA wie wir. Wir haben sie gepflanzt. Sie gehören zu uns. Wir gehören zu ihnen.“

Jetzt allerdings soll der Geburtenbaum abgeholzt werden, damit der Western Highway – die Straße zwischen den Großstädten Melbourne und Adelaide – zwei Spuren breiter gemacht werden kann. Kosten: 420 Millionen Euro. Auf einer Strecke von zwölfeinhalb Kilometern in der Nähe der Stadt Ararat sollen insgesamt mehr als 1350 Bäume fallen. Doch inzwischen ist der Protest so groß, dass alle noch stehen. Der Beginn der Bauarbeiten musste mehrfach verschoben werden.

Rund um den Red Gum Tree kampieren seit Monaten mehrere Dutzend Aktivisten: einige Aborigines, aber noch mehr Weiße, sogar ganze Familien. Ihr Dorf haben sie zur „Botschaft der Djab Wurrung“ erklärt – exterritoriales Gelände, wo die Polizei nichts zu suchen habe. Wenn es wieder einmal Gerüchte über eine Räumung gibt, eilen Leute herbei. Auch Prominenz wie der australische Hollywood-Star Russell Crowe („Gladiator“) unterstützt die Bewegung.

Der „Birthing Tree“ ist zu einer Angelegenheit von nationaler Bedeutung geworden. Viele sehen darin einen weiteren Beweis, wie wenig Rücksicht Australiens weiße Mehrheit immer noch auf die Ureinwohner nimmt. Tatsächlich sind die etwa 700 000 Aborigines in sehr vielen Belangen benachteiligt. Ihre Lebenserwartung liegt zehn Jahre niedriger als die der anderen 24 Millionen Australier. Zugleich machen sie 27 Prozent der Gefängnis-Insassen aus.

Die Djab-Wurrung-Frau Nayuka Gorrie begründete die Proteste in einem Artikel so: „Kein Siedler in Australien hat eine Blutsverbindung, die mehr als einige wenige Generationen zurückreicht. Die können nicht verstehen, was das Blut in meinem Körper mit dem Blut meiner Vorfahren in diesem alten Boden und diesen alten Bäumen verbindet.“ Durch die neue Straße würden zwei Minuten Fahrtzeit gewonnen. Doch was seien schon zwei Minuten im Vergleich zu Hunderten von Jahren.

Geleitet wird das Protestcamp von dem 33-jährigen Aborigine Djab Mara. Er redet von „Völkermord“. „Die Welt kümmert sich nicht um uns.“ Den Baum vergleicht er mit der Kathedrale Notre-Dame in Paris, die ebenfalls mehr als 600 Jahre alt ist und deren Brand im Frühjahr überall Schlagzeilen machte. „Ich kann auch nicht einfach in eure Kirche gehen, die Stühle herausnehmen, weil ich da einen Highway durchbauen will, und sagen: ‚Das Gebäude bleibt ja stehen.’ So darf das auch hier nicht sein.“

Die zuständige Regierung des Bundesstaats Victoria beharrt auf dem Projekt. Sie begründet die Pläne mit der Bedeutung der Straße für die gesamte Region und mit Sicherheitsaspekten. Auf dem viel befahrenen Highway gab es seit 2014 mindestens zwölf Verkehrstote. Zudem verweist die Regierung darauf, dass das Projekt von zwei Aborigines-Verbänden abgesegnet wurde.

Das erkennen die Leute im Camp jedoch nicht an. Sie wollen das Vorhaben auch durch die Justiz zu Fall bringen. Im November ist der Termin. Einstweilen hat die Straßenbaubehörde VicRoads den Baubeginn ausgesetzt. Zwei Jahre ist man schon in Verzug. Hinter den Kulissen gibt es nun Gespräche zwischen Straßenplanern und Stammesälteren.

(dpa)
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