Präsident begnadigt Mörderin

Paris · Sie wurde geschlagen, ihre Kinder wurden missbraucht. Nach 47 Jahren Pein erschoss sie ihren Mann. Nun soll Frankreichs Staatschef die Frau, die zur Ikone im Kampf gegen eheliche Gewalt geworden ist, begnadigen.

Wird der Präsident die Mörderin begnadigen? Das fragten sich nicht nur die Kinder von Jacqueline Sauvage seit ihrem Bittbesuch bei François Hollande . Halb Frankreich wartete auf die Antwort des Staatschefs. Hollande gab nun dem Gesuch der Familie und dem Druck der Straße nach. Der Fall der 66-Jährigen, die nach 47 Jahren Ehe-Hölle ihren Mann erschossen hat, bewegte seit Wochen die Nation. Politiker, Künstler und Frauenvereinigungen setzten sich für ihre Haftentlassung ein. Nun hat der Präsident von seinem Recht Gebrauch gemacht und die zu zehn Jahren Gefängnis verurteilte Frau begnadigt.

Die Begnadigung erlaube ihr, umgehend einen Antrag auf Haftentlassung unter bestimmten Bedingungen zu stellen, teilte der Präsidentenpalast gestern Abend mit. Der Präsident wollte angesichts einer außergewöhnlichen menschlichen Situation die Rückkehr von Frau Sauvage in den Kreis ihrer Familie ermöglichen.

Jacqueline Sauvage soll 47 Jahre lang von ihrem Mann brutal behandelt worden sein, auch ihre Töchter wurden misshandelt und geschlagen, heißt es. Am 10. September 2012 tötete die Frau ihren Peiniger mit drei Schüssen in den Rücken. Der Tat ging anscheinend ein handgreiflicher Streit um ihren Sohn voraus, der in dem Transport-Familienunternehmen nicht mehr Chauffeur sein wollte. Was die Frau zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Ihr Sohn hatte sich in seiner Wohnung erhängt.

"Unser Vater ist tot und für mich ist das eine Erleichterung", sagte eine von Sauvages Töchtern. Für Staatsanwalt Frédéric Chevallier sind drei Schüsse in den Rücken dennoch inakzeptabel. Auf die Gewalt ihres Mannes hätte Sauvage weniger radikal reagieren können, erklärte der Jurist. Er sprach im Oktober 2014 von versuchter vorsätzlicher Tötung. Am 3. Dezember wurde dies von einem Schwurgericht bestätigt.

Die 66-Jährige ist mittlerweile zu einer Ikone im Kampf gegen häusliche Gewalt geworden. Im Jahr 2014 sollen 134 Frauen von ihren Männern oder Ex-Lebensgefährten getötet worden sein, wie die Anwältin von Sauvage nach dem Urteil im Dezember erklärte. Von den 223 000 Opfern ehelicher Gewalt sollen nur 14 Prozent Klage erhoben haben. Die Richter hätten nichts verstanden, empörte sich die Anwältin.

350 000 Unterschriften

Zu jenen Opfern häuslicher Gewalt gehört auch Alexandra Lange. Zwölf Jahre lang hatte ihr Lebensgefährte sie geschlagen. Im Juni 2009 brachte die damals 32-Jährige ihn schließlich um. Als er versuchte, sie zu würgen, stach sie ihm mit einem Messer in seinen Hals. "Er oder ich", sagte sie damals vor Gericht, das sie am 23. März 2012 freisprach.

Legitime Verteidigung und eine menschliche Antwort auf eine unmenschliche Situation: Argumente, mit denen Künstler, Politiker - darunter Daniel Cohn-Bendit - sowie Frauen- und Menschenrechtsorganisationen Sauvages Haftentlassung verlangten. Auch einige französische Medien stimmten ein. Die Tageszeitung "Libération" forderte auf der Titelseite vom 23. Dezember "Monsieur Le Président, befreien Sie Jacqueline Sauvage". Der Druck auf Hollande war groß. Bei einer Petition kamen mehr als 350 000 Unterschriften zusammen.

Die drei Töchter von Sauvage sagten nach dem Empfang beim Präsidenten am vergangenen Freitag, Hollande habe weder Ja noch Nein gesagt - er habe ihnen zugehört und sei sichtlich bewegt gewesen. Doch brauche er Bedenkzeit, wie auch die Anwältin Nathalie Tomasini zu Journalisten sagte. Das Bittgespräch um Begnadigung dauerte rund eine Stunde - Hollandes Bedenkzeit (nur) zwei Tage.

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