Plötzlich war das Schlösschen weg

Paris/Yvrac. In neuem Glanz hätte es erstrahlen sollen, das einst prächtige und mit der Zeit etwas marode gewordene Anwesen aus dem 18. Jahrhundert im südwestfranzösischen Örtchen Yvrac, zwölf Kilometer westlich von Bordeaux. Bellevue hieß es, "schöne Aussicht", genau wie der Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin

Paris/Yvrac. In neuem Glanz hätte es erstrahlen sollen, das einst prächtige und mit der Zeit etwas marode gewordene Anwesen aus dem 18. Jahrhundert im südwestfranzösischen Örtchen Yvrac, zwölf Kilometer westlich von Bordeaux. Bellevue hieß es, "schöne Aussicht", genau wie der Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin. Als die Bagger anrollten, verstand man das als Beginn der umfangreichen Renovierungsarbeiten. Doch ein paar Tage später war das Schloss nicht mit Gerüsten versehen, sondern weg - zerstört, abgerissen. Ein bedauerliches Versehen, wie es hieß.Den ursprünglichen Plänen zufolge hätte nur ein kleiner Teil des Gebäudes zerstört, es ansonsten aber rundum erneuert und modernisiert werden sollen. Doch von dem Anwesen auf dem 13 000 Quadratmeter großen Areal blieb nur ein kleines historisches Nebengebäude übrig; ansonsten kahle Fläche. Die 2500 Einwohner sind fassungslos. "Können Sie sich vorstellen, was die alteingesessenen Yvracer gedacht haben, als sie das Schloss fallen sahen?", fragt Lise Mattiazzo, Generalsekretärin im Rathaus. Der Bürgermeister Claude Carty hat einen vorübergehenden Stopp aller Bauarbeiten beantragt, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verstoßes gegen das Städtebaugesetz.

Es heißt, die Mitarbeiter der polnischen Firma, die mit den Arbeiten betraut war, hätten den Auftrag falsch verstanden. Doch im Ort regt sich Misstrauen. Wie konnte ein so grober Fehler passieren? War es wirklich nur ein "Versehen", das etwas heruntergekommene Schloss dem Boden gleichzumachen? Hatte der neue Besitzer, ein russischer Unternehmer, der das Anwesen 2010 von einer vermögenden Familie aus der Region gekauft hatte, nicht einmal durchblicken lassen, die Fundamente erschienen ihm nicht tief genug? Der Mann weist Verdächtigungen zurück. Er sei selbst in einer Art "Schockzustand" und das erste Opfer dieses Missverständnisses, erklärt Dmitry Stroskin der Zeitung "Ouest France": "Auch wenn das Gebäude in einem sehr schlechtem Zustand war, wollte ich es renovieren."

Stroskin versichert nun, er wolle das Schloss originalgetreu wieder aufbauen lassen. Ein Vertrag über 1,5 Millionen Euro sei bereits unterschrieben, eine Maurer-Firma der Region werde die Steine aus Bordeaux anliefern. Dennoch überrascht seine gelassene Reaktion. "Es ist passiert", sagt er lakonisch. Nicht einmal das Unternehmen wolle er wechseln. Und während er von einem Pariser Architekten sprach, mit dem er zusammenarbeite, notierten die Journalisten von "Ouest France", dass die Pläne, die er ihnen zeigte, von "Architekci" unterzeichnet waren - einem Architekturbüro aus Polen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort