Ohnmacht an den Gräbern

Soma · Nach dem Bergwerksunglück in Soma rufen die Reaktionen von Politikern bei den Angehörigen Unverständnis hervor. Zunehmend mischt sich Wut in Trauer und Hilflosigkeit.

Für Durmas Sidal ist es keine Frage, wer ihm den Sohn genommen hat. "Diese Regierung hat unsere Kinder getötet", ruft der Vater, der am Freitag seinen Sohn Ergun in Soma zu Grabe trägt. Gerade mal 25 Jahre alt ist Ergun geworden. "Er ist gegangen und jemand muss dafür die Verantwortung übernehmen", fordert Sidal, dessen Töchter ihm so etwas wie Trost zu spenden versuchen. Doch drei Tage nach dem größten Bergwerksunglück in der Geschichte der Türkei mit mehr als 280 Toten mischt sich zunehmend Wut in die Trauer.

Sidal holt ein Foto hervor, das bereits vor einigen Jahren aufgenommen wurde. Darauf ist Ergun während seines Wehrdienstes zu sehen. Er trägt eine grüne Uniform, der Blick in die Kamera ist stolz und ernst zugleich. "Ich muss herausfinden, was mit meinem Sohn passiert ist, es muss eine echte Untersuchung geben", verlangt Sidal.

Drei Tage nach dem Unglück machen die Hinterbliebenen die Betreibergesellschaft Soma Holding sowie die Regierung nicht nur für unzureichende Sicherheitsstandards verantwortlich, sondern auch für jenen Armutskreislauf, der Generation um Generation in die gefährlichen Kohlegruben zwingt.

Die Äußerung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, dass solche Unfälle eben "passierten", hat die Stimmung weiter angeheizt. Und die Aufnahmen des Erdogan-Beraters, der einen am Boden liegenden Demonstranten tritt, machen viele noch immer sprachlos.

Er glaube nicht daran, dass die Regierung die Schuldigen zur Verantwortung ziehen werde, sagt Sidal. Bevor er in Rente ging, hat er selbst als Kumpel in einer Kohlemine gearbeitet. Und noch andere Familienangehörige - wie der 39-jährige Sefa - finden dort ihr Auskommen. "Ich habe am Tag des Unglücks gearbeitet. Eine halbe Stunde vorher habe ich die Mine verlassen", sagt er. "Es ist so heiß dort unten, dass wir manchmal in Unterwäsche arbeiten. Wir alle wissen, wie schlecht die Sicherheitsbedingungen sind", erzählt Sefa.

"Sie zwingen uns das auf. Sie sorgen dafür, dass wir für diese niedrigen Löhne arbeiten. Um zu überleben, müssen wir noch Kredite aufnehmen", klagt der Kumpel. Bergarbeiter verdienen monatlich umgerechnet zwischen 280 und 440 Euro. Um eine Familie zu ernähren, reicht das nicht aus.

Die Geringschätzung der Arbeiter - selbst im Tod - spüren die Angehörigen nun besonders schmerzhaft. "Die Regierung lügt, die Firma lügt und die türkischen Medien helfen ihnen, das Ganze zu vertuschen", sagt Sami am Grab seiner beiden Brüder in dem kleinen Dorf Elmedere, etwa 50 Kilometer von Soma entfernt. "Menschenleben sind billig. Diese Zechen sind nicht sicher", sagt er und deutet auf frischen Gräber: "Deswegen liegen unsere Brü der jetzt hier."

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