Nutznießer, aber kein Zuhälter

Lille · Das Strafgericht in Lille hat den früheren IWF-Chef Strauss-Kahn vom Vorwurf der gemeinschaftlichen Zuhälterei freigesprochen. Sein Anwalt sprach von einem „moralischen Prozess“.

Fast zwei Stunden musste Dominique Strauss-Kahn im Saal des Strafgerichts von Lille ausharren, bevor am Freitag das Urteil im Zuhälterei-Prozess fiel. Doch für den Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) war von Anfang an klar, dass er nichts zu befürchten hatte, denn Richter Bernard Lemaire verkündete für die 14 Angeklagten einen Freispruch nach dem anderen. Zum Schluss wurde auch "DSK", wie er in Frankreich genannt wird, vom Vorwurf der "schweren gemeinschaftlichen Zuhälterei" freigesprochen. "Dominique Strauss-Kahn hat wie andere von sexuellen Aktivitäten profitiert", hieß es in der Urteilsbegründung. Im Klartext bedeutet das: Der 66-Jährige war nicht der Organisator der Sex-Partys. Dass er nicht wusste, dass die Frauen der "Soirées" Prostituierte waren, hatte Strauss-Kahn auch während des dreiwöchigen Prozesses im Februar in Lille betont. "Es mit Prostituierten zu tun, ist nicht meine Vorstellung von sexuellen Beziehungen", sagte der prominente Angeklagte vor Gericht. Die Frauen, die an den Swinger-Partys teilnahmen, zeichneten in ihren Aussagen das Bild eines Mannes, der grob mit ihnen umging. "Das war ein etwas brutales Kräftemessen. Er hat nicht aufgehört. Ich habe viel geweint", berichtete die frühere Prostituierte Mounia, die als Nebenklägerin auftrat. "Der Prozess basierte nicht auf juristischen, sondern auf moralischen Kriterien", kritisierte Strauss-Kahns Anwalt Henri Leclerc nach dem Urteil. "Seine Akte war leer." Auch den Mitangeklagten konnten die Richter nichts nachweisen. Sogar der belgische Bordellbesitzer Dodo Alderweireld, bekannt als "Dodo, die Salzlake" kassierte einen Freispruch. Das Gericht stufte ihn wie die anderen Angeklagten, meist Honoratioren aus Lille , als "Kunden" bei den Sex-Partys ein. Lediglich René Kojfer, der PR-Beauftragte des Luxushotels Carlton, um das sich die ganze Affäre rankte, wurde wegen Zuhälterei zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Die so genannte Carlton-Affäre war wenige Monate nach dem Karriere-Aus Strauss-Kahns ans Licht gekommen. Der einstige Hoffnungsträger der Sozialisten musste am 18. Mai 2011 zurücktreten, nachdem er ein Zimmermädchen im New Yorker Luxushotel Sofitel zum Oralsex gezwungen haben soll.

Strauss-Kahns Biograph Michel Taubmann bezeichnete das Urteil als "wichtigen Sieg" für den Sozialisten , der damit ein Kapitel abschließen könne. Dass "DSK" in die Politik zurückkehrt, glaubt Taubmann nicht. Im Fernsehen räumte der Journalist ein: "Man kann unschuldig sein und trotzdem als schlechter Mensch angesehen werden." Diesen Ruf wird "DSK" auch nach dem Freispruch behalten.

Meinung:

Moralisch schuldig

Von SZ-Korrespondentin Christine Longin

Mehrmals ist Dominique Strauss-Kahn in den vergangenen vier Jahren mit seinem Sex-Leben konfrontiert worden. Trotz zweier Prozesse kam es zu keiner Verurteilung. Doch auch nach dem Freispruch am Freitag in Lille geht "DSK" nicht reingewaschen aus dem Gerichtssaal. Der Richter fand zwar keine Beweise dafür, dass der frühere IWF-Chef Sex-Partys mit Callgirls organisierte. Der Prozess brachte aber schonungslos seine Einstellung zu Frauen ans Licht. Von "Material" schrieb Strauss-Kahn in seinen SMS verächtlich.

Juristisch reichte es für den einstigen Spitzenpolitiker, der fast Frankreichs Präsident geworden wäre, nicht zu einer Verurteilung. Moralisch dagegen kann Strauss-Kahn nur verurteilt werden.

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