4 Wochen nach Zugunglück in Frankfurt Helfen, wenn das Unfassbare geschieht

Frankfurt · Bei Zugunglücken setzt die Bahn Notfallteams ein. So auch nach dem Tod eines Achtjährigen in Frankfurt Mitte Juli.

 Kuscheltiere und Briefe haben sich an Gleis 7 des Frankfurter Hauptbahnhofs angesammelt. Dort starb am 29. Juli ein Achtjähriger. Ein Mann aus Eritrea, der in U-Haft sitzt, soll ihn und die Mutter des Jungen gestoßen haben.

Kuscheltiere und Briefe haben sich an Gleis 7 des Frankfurter Hauptbahnhofs angesammelt. Dort starb am 29. Juli ein Achtjähriger. Ein Mann aus Eritrea, der in U-Haft sitzt, soll ihn und die Mutter des Jungen gestoßen haben.

Foto: dpa/Arne Dedert

Vor vier Wochen, am 29. Juli um kurz vor zehn, geschieht am Frankfurter Hauptbahnhof das Unfassbare. Zahlreiche Menschen stehen an Gleis 7 und warten auf den ICE nach München. Auch ein achtjähriger Junge, der mit seiner Mutter in den Urlaub aufbrechen will. Plötzlich werden beide in das Gleisbett gestoßen. Die Frau kann sich zur Seite retten, ihr Sohn wird von dem Zug erfasst und stirbt.

Um 10.15 Uhr geht bei Petra Stolle im badischen Lörrach der erste Anruf ein. An jenem Montag war die Notfallpsychologin – so wie viele ihrer Kollegen – stundenlang im Einsatz. Zahlreiche Menschen haben den tödlichen Stoß aus nächster Nähe miterlebt. „Ich saß bis abends um elf am Telefon und habe mit Betroffenen geredet.“ Da sei es vor allem um die belastenden Bilder gegangen, die diese im Kopf hatten. Am Folgetag reiste Stolle nach Frankfurt und war bei der Gedenkfeier am Bahnhof dabei.

Schon kurz nach traumatisierenden Ereignissen, wie der Gleis-Attacke, greift bei der Deutschen Bahn ein internes Notfall-System. Das Programm bietet zum einen psychologische Betreuung, zum anderen ganz praktische Unterstützung, etwa bei der Weiterreise. Darüber hinaus gibt es ein Betreuungsprogramm speziell für die eigenen Mitarbeiter, das eine umfassende Nachbetreuung sicherstellt. Beide Programme wurden maßgeblich von Stolle mitentwickelt.

1400 freiwillige Bahn-Mitarbeiter aus ganz Deutschland sind auf Abruf einsatzbereit. Über das Netzwerk soll garantiert werden, dass die speziell geschulten Helfer innerhalb von einer Stunde am Notfallort sein können, sagt die 50-Jährige. „Dort unterstützen sie die Einsatzkräfte und betreuen die unverletzten Reisenden und Mitarbeiter. Die Helfer hören zu und geben Rat“, heißt es bei der Bahn. So eben auch vor vier Wochen in Frankfurt.

Mit Details hält sich Psychologin Stolle bedeckt, Datenschutz und Schweigepflicht sind in ihrem Beruf wichtig. Generell gelte: „Vor Ort geht es darum, Menschen zu beruhigen und ihnen zu vermitteln, dass es normal ist, dass sie geschockt sein können oder wenn es ihnen nicht gut geht.“ Um traumatische Störungen im Nachgang zu vermeiden, vermittelt die Bahn bei Bedarf auch an psychologische Einrichtungen.

Stolle sind die Betreuungsprogramme eine Herzensangelegenheit. Während des Psychologiestudiums absolvierte sie im Sommer 1998 ein Praktikum bei der Bahn. Genau zu jener Zeit, als es zum größten Bahnunglück in der deutschen Geschichte kam: Der ICE-Katastrophe von Eschede mit 101 Toten. „Das war mein allererster Einsatz“, sagt Stolle, „so bin ich letztlich an das Thema Krisenmanagement und Notfallpsychologie gekommen“. Mit dem Unglück habe ein Umdenken bei der Bahn, aber auch in der Gesellschaft eingesetzt. Das ganze Thema psychosoziale Notfallversorgung habe sich professionalisiert.

 Petra Stolle, Psychologin bei DB Training der Deutschen Bahn (DB)

Petra Stolle, Psychologin bei DB Training der Deutschen Bahn (DB)

Foto: dpa/Arne Dedert

Nach Ansicht von Experten geht auch der Frankfurter Fall vielen Menschen besonderes nahe. Zum einen, weil das Opfer ein Kind war, und zum anderen, weil die Attacke quasi aus dem Nichts in einer alltäglichen Situation erfolgte. Damit könnten sich viele identifizieren.

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