Na dann, gute Nacht

München · Partys, Reisen, Job – und immer weniger Zeit zum Schlafen. Die Gesellschaft ist im Dauer-Jetlag. Viele sind stolz, dass sie wenig Ruhe brauchen. Neurologen warnen aber: Schlafentzug mindert nicht nur die Denkleistung.

Fast ein Drittel des Lebens wird verschlafen. Manche halten Schlaf für Zeitverschwendung. Viele Mächtige und Wichtige sollen mit wenig auskommen - vier Stunden Schlaf oder darunter. Napoleon und Leonardo da Vinci gehörten dazu und die Politik-Elite von Barack Obama bis Angela Merkel. Doch Neurologen warnen: "In unserer Informationsgesellschaft schlafen wir ein bis eineinhalb Stunden kürzer als noch in den 1960er Jahren", sagt Geert Mayer, Neurologe und Chefarzt der Hephata-Klinik in Schwalmstadt. "Wir haben relativen Schlafentzug - alle."

Die Vorgänge im Gehirn während des Schlafes sind ein Thema beim Neurologen-Kongress ab heute bis 19. September in München . Rund 7000 Fachleute befassen sich mit Schlaganfall, Demenz, Multipler Sklerose und 200 weiteren Krankheiten.

Bei der Entstehung vieler Erkrankungen spiele Schlaf eine weit größere Rolle als angenommen, sagt Kongresspräsident Wolfgang Oertel. Rund zehn Prozent der Bevölkerung können demnach chronisch nicht ein- oder durchschlafen. "Schlafstörungen sind eine Volkskrankheit, werden aber lediglich als Befindlichkeitsstörung behandelt", sagt Mayer. Neue Studien stützen demnach den Verdacht, dass zu wenig Schlaf über Jahre die Entstehung von Demenz begünstigt. Bestimmte Abbauprodukte im Gehirn würden im Schlaf abtransportiert und häuften sich bei Mangel an, sagt Mayer. "Das kann zu einer Frühschädigung des Gehirns führen, die wir noch gar nicht merken."

Im Schnitt braucht der Mensch sieben Stunden Schlaf. "Es gibt aber genetisch bedingt Kurz- und Langschläfer. Manche Leute kommen mit fünf Stunden hin, andere brauchen neun Stunden", sagt Mayer. Das Problem: "Heute wissen viele Leute gar nicht mehr, wie viel Schlaf sie brauchen. Das ist ähnlich wie beim Essen: Die Selbstwahrnehmung fehlt."

Geben sich manche keine Zeit zum Schlafen, so wälzen sich andere nachts qualvoll wach herum. Manche Krankheiten wie das Restless-Legs-Syndrom (RLS) lassen die Betroffenen kaum zur Ruhe kommen. Bei der Schlafapnoe sorgen Atem-aussetzer für schlechten Schlaf und spätere Tagesmüdigkeit. Neurologen entdecken Schlafstörungen auch zunehmend als frühen Hinweis auf neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Wer zu wenig schläft, riskiert außerdem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und Diabetes. Der Stoffwechsel ändere sich, die Insulin-Sensibilität nehme ab, das Risiko für Diabetes Typ zwei steige, sagt Mayer: "Menschen mit Schlafstörungen haben ein höheres Krankheitsrisiko und sterben früher."

Trotzdem versuchen Menschen mit immer neuen Tricks, den Schlafbedarf zu senken. Gerade in Mode sind sogenannte polyphasische Schlafmodelle: Kurz und tief schlafen, schnell erholen - und Zeit sparen. Der traditionelle Mittagsschlaf sei sinnvoll, da der Körper nachmittags in Schlafbereitschaft gehe, sagt Mayer. Aber: "Dass man mit 20 Minuten Schlafen mittags zwei Stunden Schlaf sparen kann, ist Quatsch."

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