Moderne Kunst oder potthässlich?

Brüssel. "Absperrgitter mit Bettlaken" - so beschreibt eine Passantin den neuen Weihnachtsbaum auf der Grand-Place in Brüssel. Ein echter Baum steht dort nicht, stattdessen türmen sich 24 Meter hoch Würfel aus verschraubten Metallrohren, bespannt mit weißen Tüchern. Touristen machen in der belgischen Hauptstadt verwundert Halt vor der Konstruktion, Einheimische sind empört

Brüssel. "Absperrgitter mit Bettlaken" - so beschreibt eine Passantin den neuen Weihnachtsbaum auf der Grand-Place in Brüssel. Ein echter Baum steht dort nicht, stattdessen türmen sich 24 Meter hoch Würfel aus verschraubten Metallrohren, bespannt mit weißen Tüchern. Touristen machen in der belgischen Hauptstadt verwundert Halt vor der Konstruktion, Einheimische sind empört."Xmas3" - was "Weihnachtsbaum" heißen soll - nennt die Tourismusbehörde den stark abstrahierten Baum in Broschüren. Nicht nur der Name soll modern wirken: Nach Einbruch der Dunkelheit verwandeln sich die Quader in Projektionsflächen für Videos und bunte Animationen. Dann blinken die Würfel in Orange, Grün und Blau - nicht sehr weihnachtlich, aber eindrucksvoll. "Zu den Aufgaben einer Hauptstadt gehört auch, mit Traditionen zu brechen und modern zu denken", sagt Philippe Close vom Tourismusbüro.

Doch in Brüssel regt sich Widerstand. 25 000 Unterzeichner einer Online-Petition fordern bereits die Rückkehr zum echten Tannenbaum aus "Respekt gegenüber unseren Werten und Traditionen". Auf Facebook entlädt sich die Wut in etlichen Kommentaren, Comics und Karikaturen. "Skandalös", schreibt eine Nutzerin, "diese Abscheulichkeit auf dem schönsten Platz der Welt."

Dank genügend polemischer Kommentare hat sich der Brüsseler Baum-Streit längst zu einem kleinen Politikum entwickelt. Als Stadträtin Bianca Debaets auf ihrer Homepage bedauerte, dass christliche Symbole zunehmend aus dem Stadtbild verschwänden, nutzten andere diese Aussage, um einen Kampf der Kulturen heraufzubeschwören: Baum und Krippe seien nur deshalb verschwunden, um muslimische Bürger zu besänftigen, die sich in ihrem religiösen Empfinden verletzt gefühlt hätten.

"Das ist ein Witz", sagt Projekt-Sprecherin Marina Bresciani. Rechtsextremisten hätten das Gerücht gestreut, um Wut auf Muslime zu schüren. Der Weihnachtsbaum sei ohnehin nicht christlichen Ursprungs. Eine Krippe steht nach wie vor auf der Grand-Place - umgeben von echten Nadelbäumen.

Um die Polemik scheren sich Touristen und Einheimische wenig, sie wollen einfach den echten Baum zurück. "Ich finde ihn furchtbar", sagt eine aus Paris angereiste Frau. "Diese ganzen Rohre und das Gestell, das ist nicht gelungen." "Das ist der schlimmste Baum, den ich je gesehen habe", sagt auch Samy Sliman, der mit seinen Kindern zur Grand-Place gekommen ist. Der acht Jahre alte Thomas guckt nach oben und sagt: "Potthässlich." Doch selbst für so enttäuschte Kinder hat Philippe Close eine Antwort parat: "Auch ein kleiner Junge kann etwas über moderne Kunst lernen." Ob moderne Kunst echtes Holz und Nadeln auch nächstes Jahr ersetzen soll, ist allerdings noch nicht entschieden.

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