Michael Jackson Das umstrittene Erbe des King of Pop

Los Angeles · Zehn Jahre nach dem Tod von Michael Jackson liegt ein dunkler Schatten auf seinem Andenken: Missbrauchsvorwürfe stehen im Raum.

 Zwei Musicaldarsteller legen zum 10. Todestag des King of Pop am Denkmal für Jackson Blumen nieder.

Zwei Musicaldarsteller legen zum 10. Todestag des King of Pop am Denkmal für Jackson Blumen nieder.

Foto: dpa/Tobias Hase

Es ist ein Werktag, unter der Erde Manhattans, die U-Bahn-Station „Grand Central“. Die Massen strömen durch die Gänge, und an einer Seite steht eine Frau mit Mikro und Verstärker und singt einen Song von Michael Jackson. Eine Frau ist stehen geblieben und nickt mit dem Kopf zum Takt. Daneben tanzt ein Kind an der Hand seines Vaters.

Hier in der New Yorker Subway scheinen die Diskussionen um den größten Popstar aller Zeiten weit weg, fast so, als hätte es sie nie gegeben. Dabei ist Michael Jackson, dessen Tod sich heute, am 25. Juni, zum zehnten Mal jährt, seit einigen Monaten so umstritten wie wohl noch nie. Das wirkt sich auch auf sein künstlerisches Erbe aus.

Zur selben Zeit steht auf dem Promenadeplatz in München die Statue des Komponisten Orlando di-Lasso. Die Menschen, die in den vergangenen Monaten wieder verstärkt zu ihr pilgerten, kamen aber wegen eines anderen Musikers. Denn der Sockel vor dem Hotel „Bayerischer Hof“ wurde zum Michael-Jackson-Denkmal umfunktioniert, nachdem der Musiker 2009 im Alter von 50 Jahren durch eine Überdosis des Narkosemittels Propofol gestorben war. Kürzlich noch zeigte ein Bild an seinem Münchner Altar Jacksons Gesicht und die markanten schwarzen Locken. Statt dem Mund stand da das Wort „innocent“ (unschuldig).

Den Glauben an Jacksons Unschuld aber verloren in letzter Zeit viele, nachdem sie die Dokumentation „Leaving Neverland“ gesehen hatten. In ihr wird schockierend und in schwer zu ertragender Detailtiefe erzählt, wie der Sänger Kinder sexuell missbraucht haben soll.

Doch während Fans darüber brüten, wie sie die Welt von der Unschuld ihres Idols überzeugen können – schließlich wurde „Jacko“ nie von einem Gericht verurteilt – geht auch eine andere Debatte weiter. Darüber, ob man Jacksons Oeuvre angesichts der Vorwürfe noch genießen darf. Es stellt sich die Frage: Sind Kunst und Künstler trennbar?

Im Fall von Jackson gab es diejenigen, die mit Boykottaufrufen reagierten. Doch Radios spielen Songs wie „Billie Jean“, „Smooth Criminal“ oder „Heal the World“ weiterhin, bei Streaminganbietern bleiben sie im Programm. Für die Tour des Musicals „Beat it“ werden nach wie vor Karten verkauft.

Und die Regierung von Oberbayern will den Michael-Jackson-Schrein in München trotz einiger Beschwerden weiter dulden: „Die im Raum stehenden Vorwürfe gegen den Künstler sind nach hiesiger Kenntnis bislang nicht bestätigt“, teilte sie auf Anfrage mit.

Das ist eine Entwicklung, die kaum überrascht, wenn man sich neben dem Werk auch die Wirkung des „King of Pop“ anschaut. Viele beschreiben ihn als Star von solcher Größe, wie sie vielleicht niemals wieder erreicht werden kann. Er spielte Touren vor Millionen, und seine Konzerte waren so groß, wie das Fassungsvermögen der Stadien es zuließ.

„Larger than life“ ist eine Beschreibung, die oft für Jackson verwendet wird – „überlebensgroß“. Und auch sein Lebenswerk ist genau das: zu groß und mächtig, um es ignorieren oder boykottieren zu können. „Ich würde sagen, dass es wahrscheinlich keinen anderen Künstler gibt, der so wichtig für die Populärmusik der Gegenwart ist wie Michael Jackson“, sagt der „New York Times“-Kritiker Wesley Morris.

Eine der Fragen, in der vieles kulminiert, lautet: Können schreckliche Menschen großartige Kunst machen? Liebhaber des genialen Komponisten, Antisemiten und Nazi-Lieblings Richard Wagner würden sie wohl genauso mit „Ja“ beantworten wie diejenigen, die Pablo Picassos Malerei großartig finden, obwohl er immer wieder als Mann beschrieben wurde, der Frauen in seinem Leben herabwürdigte.

Ähnliches dürfte auch für diejenigen gelten, die den König der Popmusik nach „Leaving Neverland“ mit anderen Ohren hören. Auch wenn um die Person Jackson zehn Jahre nach seinem Tod heftig gestritten wird, so bleibt sein Lebenswerk doch der berühmte „Gamechanger“. Oder wie Journalist Morris die wichtigsten Ereignisse der US-Neuzeit zusammenfasst: „Auf der einen Seite ist da die Mondlandung und auf der anderen der Moonwalk.“

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