Grenfell Tower London, drei Monate nach dem Inferno

London · Am 14. Juni kostete ein technischer Defekt im Grenfell Tower 81 Menschenleben. Bis heute sind noch viele Fragen zu dem Unglück offen.

 Die Brandruine von London: Noch immer laufen Untersuchungen am Grenfell Tower, der völlig ausbrannte.

Die Brandruine von London: Noch immer laufen Untersuchungen am Grenfell Tower, der völlig ausbrannte.

Foto: dpa/Ray Tang

Schreiende Menschen stehen an den Fenstern des lodernden Grenfell Towers. Sie blinken mitten in der Nacht mit Taschenlampen, winken verzweifelt, um auf sich aufmerksam zu machen. Viele von ihnen sterben am 14. Juni qualvoll im Flammenmeer des Hochhauses. Auch drei Monate nach der Katastrophe in London sind noch nicht alle Opfer identifiziert; die Hitze vernichtete fast alles. Übrig geblieben ist ein schwarzes Mahnmal, das mit 24 Stockwerken in den Himmel ragt.

„Ich habe mehrere Leute aus dem Fenster springen sehen“, schilderte ein Nachbar damals schockiert. Schon in dieser Nacht berichteten Augenzeugen, was sich später als bittere Wahrheit herausstellte: Ein defekter Kühlschrank explodierte in einer Wohnung – und die Flammen fraßen sich in rasendem Tempo die Außenfassade hoch. Mindestens 81 Menschen überlebten die Katastrophe in dem Sozialbau mit seinen etwa 120 Wohnungen nicht. Einige Opfer werden wohl nie identifiziert werden, sagt die Polizei. Die Hitze hinterließ fast nur Schutt und Asche. Wie konnte das Unglück passieren? Wer ist verantwortlich? Heute beginnt in London eine öffentliche Untersuchung der Ursachen. Sie war von Premierministerin Theresa May, die mitten im Brexit-Drama auch durch das Unglück unter Druck geriet, zugesagt worden.

Allgemeine Missstände im sozialen Wohnungsbau – von denen es viele in Großbritannien gibt – sind nicht Gegenstand der Ermittlungen. Das ärgert viele Überlebende. Wiederholt hatte die Anwohner-Initiative Grenfell Action Group auf Sicherheitsmängel und marode Zustände im Hochhaus aufmerksam gemacht. „Nur ein katastrophales Ereignis wird das Unvermögen und die Inkompetenz unserer Vermieter entlarven“, warnte die Gruppe vor dem Unglück. Auch die Wohnungsgesellschaft und der örtliche Bezirksrat stehen daher im Visier der Ermittler. Als Verantwortliche in Frage kommen insgesamt Dutzende Firmen und Organisationen, die mit der Verwaltung, dem Bau und der Instandhaltung des Gebäudes zu tun hatten. Vieles deutet darauf hin, dass ein Mix aus Missmanagement und falschen Baumaterialien zu der Brandkatastrophe beigetragen haben könnte.

Vor allem die Fassadenverkleidung steht im Verdacht, die Ausbreitung der Flammen beschleunigt zu haben. Sie war erst bei Renovierungsarbeiten 2015 und 2016 angebracht worden. Eine Untersuchung von 600 Hochhäusern im Auftrag der Regierung mit ähnlichen Fassaden zeigte: Der Grenfell Tower ist längst kein Einzelfall. Ein Gebäude nach dem anderen fiel bei den Tests durch.

Jenseits der Baumängel stieß auch der Umgang mit den Überlebenden auf Kritik. Die Unterbringung in Notunterkünften verlief anfangs chaotisch. Noch immer sind viele Familien in Hotels untergebracht. Zahlreiche Menschen leiden seit dem Brand unter erheblichen psychischen Problemen; mehrere haben versucht, sich das Leben zu nehmen. Auch darüber hinaus gab es viel Ärger: Betroffene nahmen es May übel, dass sie erst sehr spät mit ihnen sprach – die Queen, der Bürgermeister und Oppositionsführer Jeremy Corbyn waren schneller und wirkten engagierter.

Doch es gibt auch Lichtblicke: Die Nachbarschaftshilfe rund um den Grenfell Tower für die Überlebenden ist noch immer enorm. Die Feuerwehrleute, die nach ihren Einsätzen körperlich und psychisch am Ende waren, werden als Helden gefeiert. Die Opfer sind nicht vergessen; selbst beim trubeligen Notting-Hill-Karneval gab es eine Schweigeminute. Und vielleicht werden bei anderen Hochhäusern Mängel beim Brandschutz nicht nur entdeckt, sondern auch schnell behoben.

Die Feuerwehrchefin von London, Dany Cotton, sagte dieser Tage in der BBC: „Grenfell sollte ein Wendepunkt sein.“ Ihre Forderungen klingen fast bescheiden: In allen Hochhäusern sollten erst einmal Sprinkleranlagen installiert werden. Denn obwohl die seit zehn Jahren Pflicht sind, waren viele ältere Gebäude nicht nachgerüstet – so wie der Grenfell Tower von 1974.

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