Lokführer prahlte: „Schneller geht nicht“

Madrid · Die spanische Polizei beschuldigt den Führer des Unglückszuges, die Katastrophe unbesonnen herbeigeführt zu haben. Ein Untersuchungsrichter entscheidet nun über Anklage wegen „fahrlässiger Tötung“

"Ich habe alles vermasselt, ich will sterben", rief Francisco José Garzón entsetzt, Sekunden nachdem sein Schnellzug gegen die Schutzwand gekracht, entgleist und umgestürzt war. Die Aufzeichnung der Funksprüche aus dem Führerstand scheinen zu bestätigen, dass der Zug viel zu schnell in eine enge Kurve gerast war. "Es war nur Tempo 80 erlaubt, und ich bin mit 190 gefahren", sagte der geschockte Lokführer in seinem Notruf.

Am Freitag wurde er von der Polizei der "Fahrlässigkeit" beschuldigt. Er habe möglicherweise ein "kriminelles Delikt" begangen, das den Unfall herbeigeführt habe, sagte Polizeichef Jaime Iglesias. Garzón, der verletzt im Krankenhaus liegt und dort von der Polizei bewacht wird, muss sich nun vor einem Untersuchungsrichter verantworten, der über eine Anklage wegen "fahrlässiger Tötung" entscheiden muss.

Das schwere Eisenbahn-Unglück am Mittwochabend nahe der nordspanischen Pilgerstadt Santiago de Compostela war eines der schlimmsten in der spanischen wie europäischen Geschichte. Die Zahl der Toten ist nach der Identifizierung der meisten sterblichen Überreste von ursprünglich 80 auf 78 korrigiert worden. Die meisten Toten sind Spanier, aber es gibt auch einige Opfer aus den USA, Lateinamerika und Nordafrika. Insgesamt 168 Menschen wurden verletzt, davon schweben noch 30 in Lebensgefahr.

Die Tragödie gilt als schwerer Schlag für das Image des spanischen Hochgeschwindigkeitsnetzes, zu dem die Unfallstrecke gehört. Auch wenn es sich beim Unglückszug nicht um den Superschnellzug AVE handelte.

Nun untersuchen die Ermittler, warum Garzón nicht rechtzeitig die Geschwindigkeit verringerte. Und auch, ob es vielleicht technische Pannen wie etwa ein Fehler im Bremssystem und Sicherheitsmängel gab. Die meisten unabhängigen Experten, die sich zu Wort meldeten, gehen freilich davon aus, dass der Unfall vor allem durch "menschliches Versagen" verursacht wurde. Aber möglicherweise durch eine nicht ausreichende Sicherheitstechnik begünstigt worden war. Die Unglückskurve war nicht mit dem modernen Zugleitsystem ERTMS ausgestattet, das auf Hochgeschwindigkeitsstrecken eigentlich üblich ist und für eine automatische Bremsung sorgt, wenn Tempolimits überschritten werden. Auf der geraden Strecke vor der Biegung war der Zug mit 200 Stundenkilometer herangedonnert, in der Kurve galt Tempo 80.

Die nationale Eisenbahnergewerkschaft warnte davor, dem Maschinisten vorschnell die Schuld zuzuschieben. Auch die staatliche Bahngesellschaft Renfe nahm ihren Lokführer zunächst in Schutz. Der 52-Jährige sei erfahren gewesen und habe die Strecke, auf der er seit einem Jahr eingesetzt war, gut gekannt. Er soll sogar noch bei der Bergung von Opfern geholfen haben.

Nach dem Unglück gingen Fotos des Lokführers um die Welt, auf denen er mit blutüberströmtem Gesicht und verschmiertem blauem Hemd zu sehen ist. Er hält ein Handy in der Hand, über das er in diesem Moment der Bahnzentrale Bericht erstattet. Offenbar hatte er es genossen, mit seinen Zügen möglichst schnell über die Gleise zu rasen. Inzwischen tauchte ein Eintrag aus seinem Facebook-Konto vom März 2012 auf, in dem prahlt, im Führerstand gerne Vollgas zu geben. "Ich bin am Limit", schrieb er und garnierte den Beitrag mit einem Foto. "Schneller geht nicht, wenn ich nicht bestraft werden will."

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