Letztes Geleit für die Costa Concordia

Giglio · Das Unglück der Costa Concordia hat Helden und Versager hervorgebracht. Vor seinem letzten Weg nehmen die Menschen auf der Insel Giglio Abschied vom verhassten Wrack.

Wenn es stimmt, dass die Alten der Wahrheit näher sind, dann könnte die Idee mit dem Phantomschmerz auch Unsinn sein. Nino, 83, der gerade ein Päuschen an der kniehohen Kaimauer des Hafens der Insel Giglio eingelegt hat, trägt einen Sonnenhut, ein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe offen sind, und blickt aufs Meer. Er hält in seiner Linken die Zeitung, rechts einen Stock. "Wenn sie sie endlich weggebracht haben", sagt der Inselbewohner, als spräche er über seine uralte Nachbarin, "dann wird alles sein wie vorher".

Giglio , die Lilien-Insel. In kristallinem Meer vor der Küste der Toskana gebettet. Einst ein Geheimtipp, aber wegen dieses überdimensionalen Fremdkörpers seit über 30 Monaten den gierigen Blicken der Weltöffentlichkeit preisgegeben. Wenn man die nur ein paar Hundert Meter lange und wegen der vielen Geschäfte, Touristen, Arbeitern und Journalisten sehr enge Hafenpromenade entlang geht und einmal nicht den Blick hinaus auf das Wrack der Costa Concordia wendet, dann kommt man trotzdem nicht an ihr vorbei. Sie ist in aller Munde, immer. Am morgigen Mittwoch soll sie weggebracht werden, von ihrem Wirtstier abgenabelt. Oder war es die Insel, die sich in den letzten zweieinhalb Jahren zwangsläufig an das Schiff geklammert hat? Über ein Dutzend Schiffe werden wie Sargträger den verrosteten und ramponierten Schwimmkörper über 350 Kilometer bis in den Container-Hafen von Genua-Voltri begleiten. Im würdigen Schritttempo von zwei Knoten, also knapp vier Stundenkilometern. Es handelt sich ja nicht nur um die Unglücksnacht des 13. Januar 2012, als 32 Menschen starben, darunter auch zwölf Deutsche. Von diesem Tag an war die Costa Concordia auch ein Objekt der Projektionen, welches das menschliche Bedürfnis nach Helden und Versagern stillte. Kapitän Francesco Schettino zum Beispiel, der schnell zum Prototyp einer vermeintlich südländischen Verantwortungslosigkeit wurde.

Auf dem Foto, das Helmut Buttkus in einem Kuvert mit sich trägt, sieht man Schettino in weißer Kapitänsuniform und mit halblangem, von Pomade getränktem Haar. Neben ihm auf dem Bild wenige Tage vor dem Unglück: Helmut Buttkus, 79, in Anzug und Krawatte, sowie seine Lebensgefährtin Ilse Kischlat, 78. Sie im eleganten Abendkleid, beide aus Berlin-Zehlendorf. Während Helmut Buttkus beim Erzählen viel lacht, verrät vor allem Ilse Kischlats Blick, dass die Unglücksnacht noch immer in ihr herumspukt. Sie berichtet von den Schlägereien um die Plätze in den Rettungsbooten. Von der Todesangst. "Wenn man jetzt nach zweieinhalb Jahren wieder hier steht, dann ist das Gefühl, davon gekommen zu sein, doch sehr stark." Das Paar wollte noch einmal nach Giglio kommen, bevor das Wrack abtransportiert wird.

Den Namen des Einsatzleiters kennen alle auf Giglio : Nicholas Sloane, 53 Jahre alt. Sie nennen ihn "Nick". Obwohl etwa 500 Arbeiter, Taucher und Techniker Tag und Nacht am Abtransport der Costa Concordia arbeiten, hat die Öffentlichkeit für Sloane die Heldenrolle im Drama vorgesehen.

Wenn er von seinem Hotel morgens zum Frühstück in die "Bar Fausto" am Hafen geht, dann zieht er oft einen Rattenschwanz von Neugierigen hinter sich her. Der Südafrikaner wirkt nahbar, unkompliziert, mit dem rauen Charme eines Seebären. Er kann das, was man von Menschen nicht erwartet: Einen von Piraten gekaperten, brennenden Öltanker auf hoher See in Sicherheit bringen oder Schiffe im offenen Meer zersägen. Sloane ist der Anti-Schettino. Viele Inselbewohner werden am Kai stehen, wenn die Costa Concordia morgen auf ihre letzte Reise geht. "Ich schaue mir das schon an, oben von der Straße", sagt Angelo Milano, der Präsident des lokalen Tourismusverbands. "Giglio verdient es nicht, den Menschen nur wegen der Costa Concordia in Erinnerung zu bleiben. Es wird eine Befreiung. Wir werden die Concordia so schnell wie möglich vergessen." Gut möglich, dass die Geschichte so ausgeht. Über den Phantomschmerz heißt es allerdings auch, er trete erst mit Verzögerung auf.

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