Leiser Aufstand der Edelschneider

London. Seit mehr als zwei Jahrhunderten lassen sich die Reichen und Schönen dieser Welt ihre Anzüge in der vornehmen Londoner Savile Row schneidern. Fred Astaire gehörte zu den Kunden der Maßschneider, Prinz Charles ist es immer noch, auch Kate Moss. Jetzt fürchten die Ateliers im Stadtteil Mayfair um ihr exklusives Image

London. Seit mehr als zwei Jahrhunderten lassen sich die Reichen und Schönen dieser Welt ihre Anzüge in der vornehmen Londoner Savile Row schneidern. Fred Astaire gehörte zu den Kunden der Maßschneider, Prinz Charles ist es immer noch, auch Kate Moss. Jetzt fürchten die Ateliers im Stadtteil Mayfair um ihr exklusives Image. Sie haben den Kampf aufgenommen gegen Wettbewerber, die zwar mit dem Label "bespoke tailoring" (maßgefertigt) werben, sich aber nicht an die traditionellen Kriterien halten - und ihre mit Nähmaschinen gefertigten Anzüge für einen Bruchteil der Preise anbieten, die sonst auf der Savile Row gelten. "Bei Bespoke-Schneidern gibt es nichts, bevor der Kunde bestellt hat", sagt die Vize-Geschäftsführerin von Anderson & Sheppard, Anda Rowland. Ihr Haus wurde 1906 gegründet und näht im Jahr 1500 Anzüge. Hat ein Kunde einen Anzug bestellt, nehmen Spezialisten nicht weniger als 27 Maße und zeichnen dann ein individuelles Schnittmuster. "Bis zu neun Mitarbeiter brauchen wir für die Fertigung eines Anzugs", sagt Rowland. Jeder Anzug verschlingt rund 50 Stunden Arbeit - Handarbeit wohlgemerkt. Sodann werden mindestens drei Anproben für Umarbeitungen arrangiert. "Auch bei Kunden, die keine perfekte Figur haben, können wir dafür sorgen, dass sie besser aussehen", versichert John Hitchcock, bei Anderson & Sheppard für die Schnittmuster verantwortlich. "Wir sind ein bisschen wie Schönheitschirurgen." Diese Exklusivität hat ihren Preis: Mindestens 3000 britische Pfund (3300 Euro) kostet ein maßgeschneiderter Anzug und damit im Durchschnitt sechs Mal soviel wie die nur zum Teil handgefertigten "Made to Measure"-Anzüge, die inzwischen auch auf der Savile Row zu haben sind. Diese werden nach Konfektionsschnittmustern hergestellt und dann an die Maße des Kunden angepasst. Für Empörung der alteingesessenen Häuser sorgte 2008 die Entscheidung der britischen Werbeaufsicht ASA zugunsten eines Schneiders auf der Savile Row, der solche Anzüge unter der Bezeichnung "bespoke" für 553 Euro verkaufte. Ihr Widerstand war mobilisiert: "Unter diesen Umständen muss man dem Kunden einfach erklären, was 'bespoke' tatsächlich bedeutet", sagt Rowland. Sie ist Mitglied der "Savile Row Bespoke Association", des 2005 gegründeten Verbands von rund einem Dutzend Luxus-Schneidereien. Der Verband hat mit der Einführung eines Markenzeichens "Savile Row Bespoke" in Großbritannien und weiteren europäischen Ländern sowie in den USA und Japan begonnen. Auch über die Einführung einer geschützten Herkunftsbezeichnung für Anzüge aus der Savile Row wird nachgedacht, so wie sie etwa der Parmaschinken oder Champagner führen. Von Moden zeigt sich der Luxus-Nischenmarkt bisher unbeeindruckt. Auch Wirtschaftskrisen können ihm nichts anhaben. Im September stiegen die Bestellungen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 20 Prozent. "Wir sind Gott sei Dank nicht vom Bankenviertel abhängig", sagt Rowland. Dennoch würden sie und ihr Verband früher oder später gerne eine Art Qualitätsmarkenzeichen für das Nonplusultra der Schneiderkunst etablieren - auch wenn das Projekt in dieser diskreten Welt noch auf Widerstand stößt: Schließlich vertragen sich schnöde Etiketten schlecht mit dem Understatement der "Upper Class", die Markenschildchen bisher höchstens in den Taschen der Kleidung versteckt.

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