Lärm macht Städter depressiv und schizophren

Berlin · Nach den Sommerferien nimmt das Grundrauschen wieder zu in den Städten: Menschen, Lärm, Autos, pralles Leben in jeder Hinsicht. So manchen macht das krank. Doch wann genau die pulsierende Mischung schadet, ist nicht ganz klar.

Die Stadt schläft nie. Aus diesem Grund zieht es viele in die Metropolen. Aber für manchen, der nach dem Großstadt-Alltag noch tief in der Nacht den Fernseher des Nachbarn hört, bedeutet die Dauerstimulation vor allem eines: Stress. "Vermutlich ist es die Mischung aus sozialer Dichte und sozialer Isolierung, die den Stadtstress ausmacht", sagt Mazda Adli. Der Leiter des Forschungsbereiches Affektive Störungen an der Berliner Charité und Chefarzt der Fliedner-Klinik forscht seit Jahren über das Phänomen.

Adli hat einige Antworten darauf gefunden, wie sich die Großstadt auf die psychische Gesundheit ihrer Bewohner auswirkt: Stadtmenschen hätten ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko für Schizophrenie, für Depressionen liegt es beim 1,4-fachen im Vergleich zum Landbewohner. "Es gibt sogar ein Dosis-Wirkungsverhältnis: Je größer die Stadt, desto höher das Schizophrenie-Risiko", sagt Adli.

Aber ziehen Städte vielleicht besonders viele instabile und damit stress-sensible Menschen an? "Es gibt zwei Thesen. Die eine lautet: Die Stadt verändert den Menschen. Die andere: Labile Menschen ziehen eher in die Stadt. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt jedoch, dass eher ersteres gilt", sagt Adli. Dennoch mache Stadtleben nicht zwangsläufig krank. Auch genetische und Umwelt-Faktoren spielten eine Rolle.

Weiter zeigt der Berliner Forscher in Studien, dass Stress dann gesundheitsrelevant wird, wenn der Einzelne sich nicht nur räumlich eingeengt und zugleich isoliert fühlt, sondern auch das Gefühl hat, seine Umgebung nicht kontrollieren zu können. "Das ist die toxische Mischung", so Adli. Vermutlich deshalb würden beispielsweise Migranten, die in einem sozial schwächeren Viertel zusammen lebten, seltener psychisch krank als solche, die allein in einer besser gestellten Umgebung wohnten. Die Gentrifizierung von Straßen und ganzen Stadtvierteln hätte zusätzlich negative Folgen für den Stresspegel der Städter. So würden nicht nur alteingesessene Bewohner verdrängt, sondern auch deren Anlaufstellen wegfallen.

Wie kann man das ändern? Stadtplaner und Architekten sollten stärker mit Psychiatern zusammenarbeiten, sagt der Berliner Forscher Adli. Konkrete Vorschläge? Beispielsweise bieten breitere Bürgersteige Platz für eine Bank vorm Haus. Generell helfen Plätze, die zum einladenden Treffpunkt werden. Mehr Grünflächen und freie Blickachsen. Mehr Wege zu Fuß. "Jeder Plausch mit den Nachbarn tut gut", sagt Adli. Unter so veränderten Vorzeichen kann das pralle Großstadtleben und sein vielfältiges Angebot dann sogar vor Stress schützen.

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