Kinder machen den Gift-Test

Braunschweig · 5000 Kinder im Vorschulalter reißen und beißen, schütteln und schlagen, drehen und ziehen: Im Auftrag der Verpackungsindustrie versuchen sie, an den giftigen Inhalt von Toiletten-Reiniger zu kommen.

Die kleinen Hände umschließen die Verpackung für einen Toiletten-Reiniger. Julian (3) und die beiden Vierjährigen Jaden und Justus drehen energisch am Verschluss. "Ich schaffe es nicht", sagt Julian frustriert. Aus einer Tablettenverpackung hat er dagegen in 45 Sekunden die erste Tablette herausgedrückt. Die Jungen aus einer Tagesstätte in Vienenburg im Vorharz testen an diesem Tag unter Aufsicht von Simone Bellger, wie kindersicher Verpackungen sind.

In deutschen Haushalten gibt es jährlich rund 100 000 Verdachtsfälle auf Vergiftungen bei Kindern. Nach Schätzungen der Giftnotrufzentralen sind davon bis zu 90 Prozent Kleinkinder unter sechs Jahren betroffen. Schuld sind Haushaltschemikalien oder Medikamente, die von Eltern nicht sorgsam weggeschlossen werden. "Einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung solcher Unfälle können kindersichere Verpackungen leisten", sagt Rolf Abelmann. Er ist Chef des Instituts Verpackungs-Marktforschung (IVM) in Braunschweig - in Europa die einzige staatlich zugelassene Zertifizierungsstelle für kindergesicherte Verpackungen und Feuerzeuge. Für das Institut testen nach Abelmanns Angaben jedes Jahr rund 5000 Kindergartenkinder Verschlüsse und Verpackungen. Der Kinderfantasie werden dabei kaum Grenzen gesetzt. Und so wird bei den Tests gerissen, geschüttelt, gekratzt, gezogen, draufgeschlagen oder draufgebissen. Als sicher gilt eine Verpackung, wenn in einer Gruppe von bis zu 200 Kindern mindestens 80 Prozent es nicht schaffen, an den Inhalt zu gelangen. "In Deutschland sind bisher nur zehn Prozent aller zugelassenen Medikamente kindersicher verpackt", schätzt Abelmann. Andere Länder seien schon weiter. In den USA müssten beispielsweise alle verschreibungspflichtigen Medikamente kindersicher verpackt werden. Seit Inkrafttreten dieser Regelung seien dort nach Studienergebnissen die Vergiftungsunfälle bei Kindern deutlich zurückgegangen. In Deutschland stellt Abelmann bei großen Herstellern von Arzneimitteln und Haushaltschemikalien inzwischen einen Trend fest, freiwillig sichere Verpackungen anzubieten. Hierzulande müssen kindergesicherte Verpackungen allerdings auch seniorenfreundlich zu öffnen sein. Deshalb testet das Braunschweiger Institut Verpackungen auch mit Menschen zwischen 50 und 70 Jahren. Ältere Menschen hätten zwar oft weniger Kraft und Geschick in Händen und Fingern, sagt Abelmann. Aber sie beherrschten in der Regel den Trick, den kleine Kinder nicht kennen: "Sie können koordiniert mit mehreren Bewegungen eine Verpackung öffnen."

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