Kind als Opfer, Kind als Täter

Bad Schmiedeberg · Nur äußerst selten kommt es vor, dass Kinder Gleichaltrige töten. Ein solcher Fall erschüttert nun die kleine Stadt Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt.

Es ist ein verstörender Verdacht, der die Menschen in Bad Schmiedeberg beschäftigt. Am Sonntagabend kehrt der 13-jährige Fabian nicht nach Hause zurück. Die Polizei sucht intensiv - und findet tags darauf die Leiche des Jungen. Sie liegt im Gestrüpp am Rand der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Die Ermittler schließen einen Unglücksfall zunächst nicht aus, dann ergibt die Obduktion: Fabian starb an heftigen Kopfverletzungen. Es war ein Verbrechen. Seit gestern steht der Verdacht im Raum: Ein Gleichaltriger könnte die Schuld tragen.

Der tatverdächtige Junge - Medienberichten zufolge ein Schulkamerad - hat gestern bei seiner Vernehmung zugegeben, Fabian geschlagen zu haben. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass der Junge mit massiver Gewalt mehrfach auf Fabians Kopf schlug. Möglicherweise eskalierte ein Streit zwischen Gleichaltrigen.

Für den Sprecher der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, Olaf Braun, ist das ein einzigartiger Fall. Es gibt einen Toten und einen Tatverdächtigen, zur Anklage oder zu einem Gerichtsverfahren wird es nicht kommen. "Wir werden ermitteln, was passiert ist und dann den Fall einstellen." Der Strafjustiz seien die Hände gebunden, weil der Tatverdächtige unter 14 Jahre und damit schuldunfähig und nicht strafmündig sei.

In Wiesbaden sitzt der Kriminologe Rudolf Egg und verfolgt den Fall aus der Ferne. Dass Kinder Kinder töten, sei äußerst selten. Vielleicht einmal im Jahr komme so etwas in Deutschland vor, schätzt Egg, der bis 2014 die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden geleitet hatte. Wenn, dann seien es meist Streitigkeiten unter Geschwistern, die zu solch drastischen Taten führten, sagt Egg. Unter völlig fremden Kindern komme so ein Delikt so gut wie nicht vor, weil es immer um Gefühle gehe.

In Bad Schmiedeberg sind die Menschen schockiert. Bürgermeister Stefan Dammhayn (CDU ) fehlen die Worte: "Dazu kann man nicht viel sagen, weil man zutiefst erschüttert ist." Es sei schockierend, wie jung der Tatverdächtige und sein Opfer seien. In irgendeiner Form aufgefallen sei der Junge zuvor nicht. Aber: "Der Ort hat 4200 Einwohner, das ist eine Größenordnung, wo man sich schon untereinander kennt", sagt der Bürgermeister.

Die Frage, die noch niemand beantworten kann, ist, wie es weitergeht. Eine Familie muss ohne Kind weiterleben. In einer anderen lebt ein Kind, das vermutlich getötet hat. Der tatverdächtige 13-Jährige wurde in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung gebracht - auch, um ihn zu schützen.

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HintergrundKinder können aus Expertensicht auch vor ihrer Strafmündigkeit mit 14 Jahren die möglicherweise schwerwiegenden Folgen ihres Handelns abschätzen. "Die Altersgrenze bedeutet nicht, dass sie kein Schuldbewusstsein hätten oder nicht wüssten, was sie tun", sagte der Wiesbadener Kriminologe Rudolf Egg. Der Gesetzgeber habe damit nur festgelegt, dass für diese Kinder nicht die Strafjustiz zuständig ist, sondern Eltern, Erziehungsberechtigte und Jugendämter. Im Fall des 13-jährigen Tatverdächtigen in Bad Schmiedeberg werden die Behörden nach Eggs Einschätzung nun genau auf die Familie schauen. Es müsse geprüft werden, ob die Eltern ihre erzieherischen Pflichten erfüllt hätten und ob sie sich weiter um das Kind kümmern könnten. dpa

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