Junggesellenabschiede Aus dem Koma in die Ehe

Bonn · Junggesellenabschiede werden immer exzessiver gefeiert. Traditionelle Hochzeitsrituale werden in den Hintergrund gedrängt.

 Über die Stränge schlagen, bevor’s in den Hafen der Ehe geht: Junggesellenabschiede wie hier in Düsseldorf werden immer hemmungsloser.

Über die Stränge schlagen, bevor’s in den Hafen der Ehe geht: Junggesellenabschiede wie hier in Düsseldorf werden immer hemmungsloser.

Foto: dpa/Martin Gerten

„Wehe, wenn sie losgelassen“, dichtete Friedrich Schiller in seinem „Lied von der Glocke“. Vielleicht hatte der Stürmer und Dränger bei dieser Zeile noch seine eigenen Eskapaden als Junggeselle im Sinn. Denn er ließ es nicht nur in seinen wilden Jahren als Mannheimer Theatermacher krachen. Fast jeden Abend vergnügte er sich mit seinen Zechkumpanen bei Wein, Weib, Spiel und Gegröle, als sei dieser sein letzter.

Ebenso scheint es heutzutage dem Bräutigam kurz vor seiner drohenden Trauung zu gehen. Ihm und seinen Kumpeln schwant, dass die Zeit der Männerrunden, wo sich die starken Kerls im Gewichtheben von Korngläsern beweisen oder nächtelang durchzocken, bald perdu sind. Noch einmal über die Stränge schlagen, bevor der Angetraute im Hafen der Ehe vom Vergnügungsdampfer auf eine Zwangsgaleere umsteigt!

Von Riga bis Mallorca sieht man diese feuchtfröhlich-trauernden Hinterbliebenen einer bröckelnden Männerclique die Vergnügungsmeilen und Fußgängerzonen hinuntertorkeln und lauthals krakeelen, und das in aberwitzigen Verkleidungen. An den Fenstern von immer mehr Gasthäusern sieht man nun in Deutschland Schilder mit der Aufschrift: „Hier keine Junggesellenabschiede!“ Welcher Wirt hat schon Lust, nach Gelagen solcher Gruppen jedes Mal seine Gaststube auszukärchern?

Mittlerweile tun es die Bräute ihren Männern in spe nach. Die beste Freundin organisiert einen „Mädels-Abend“, den letzten in Freiheit. Immer häufiger begegnet man in den Zügen der Deutschen Bahn angeschickerten jungen Frauen mit Prinzessinnenkrönchen, die Piccolo nach Piccolo entkorken auf ihre Reise in eine Metropole, wo niemand sie kennt und es sich umso ungehemmter feiern lässt. Damit auch die anderen Zugreisenden an der Freude teilhaben können, laufen diese Gruppen, männlich wie weiblich, mit der Spendenbüchse durch die Abteile, auf dass sie die Sause auch noch alimentiert bekommen.

Wie konnte es nur so weit kommen, dass der einstige Junggesellen­abschied so herunterkam? Wie gediegen wirkte dagegen doch der gute alte Polterabend, bei dem nur eine Menge Porzellan zerschlagen wurde wie später im Ehekrach, oder wo bei einer „Entführung“ die Braut in der Eile in einer Autobahngaststätte vergessen wurde!

„Denn was der Deutsche für asozial hält, das tut ein Brite, der sich stark fühlt, immerzu“, sang einst der Wiener Kabarettist Georg Kreisler. Und tatsächlich gibt es in Großbritannien eine besonders lange und ausgiebige Tradition von Junggesellenabschieden mit exzessiven Trinkgelagen und sexuellen Ausschweifungen. Diese Sitte breitete sich seit den 1990er-Jahren zunehmend auch in Deutschland aus.

Sogar zu einer eigenen Hymne hat es diese Bewegung gebracht: „For he‘s a jolly good fellow“ – „Er ist ein lustiger guter Kumpel“ wird dort zum Abgesang der wilden Jahre. Im puritanisch viktorianischen Zeitalter, das viel auf Anstand und Sitte hielt, mag dieses Aufbegehren gegen die Moral noch seinen Sinn gehabt haben. Mit fatalen Folgen übrigens: Die Literatur jener Jahre ist voll von Zeugnissen, dass sich die Hasardeure in solchen Nächten in den Bordellen mit Geschlechtskrankheiten ansteckten.

In der Eventkultur unserer Tage mögen solche Konsequenzen womöglich an Drastik verloren haben. Ein soziales Ärgernis bleiben sie trotzdem. Die fortwährende Überbietung mit Sensationen drängt die traditionellen Hochzeitsbräuche immer mehr in den Hintergrund. Junggesellen- und Junggesellinnen-Abschiede werden inzwischen von Eventagenturen organisiert.

So preist ein Hamburger Reiseveranstalter ein „Rotlicht-Paket“ an: Darin im Preis enthalten ist der Besuch eines Boxclubs, mehrerer erotischer Tanzläden, eine Stärkung in einem Hamburger-Restaurant und dem abschließenden „All you can drink“ – in „Tinas Bar“. Narkotisch betäubt kann der Bräutigam danach zum Standesamt getragen werden. Ob das für die junge Ehe tragbar ist? Womöglich können seine Kumpels bezeugen, dass er, als er die Unterschrift unter die Heiratsurkunde setzte, nicht geschäftsfähig war.

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