Italien entdeckt seinen Bürgersinn

Rom · Statt kleinere Vergehen wie Falschparken zu bestrafen, belohnen einige Gemeinden in Italien ihre Bürger für verdienstvolles Verhalten. In Trento etwa soll dies gar zu einer Explosion von Bürgersinn geführt haben.

Diese Helden verdienen internationale Aufmerksamkeit: Selina und Stefano, die beiden Elfjährigen, die den Inhalt des von ihnen gefundenen, prall gefüllten Geldbeutels nicht etwa in Süßigkeiten investierten, sondern bei der Polizei ablieferten. Oder Francesco Libardi, der einer alten Dame seinen Platz im Bus freimachte. Und schließlich Maria Donatella Marinelli. Ihr Auto war eingeparkt, aber anstatt die in Italien meist verbreitete Gegenmaßnahme zu ergreifen - den exzessiven Gebrauch der Hupe - ging sie nach ein paar Stunden schlicht zur Polizei.

In Italien sind neue Zeiten angebrochen. Mit Blick auf das politische Geschehen wirkt das überraschend. Aber man muss eben nicht nach Rom, sondern in die kleineren Gemeinden blicken. Im norditalienischen Städtchen Trento etwa werden Bürger für ihr ziviles Verhalten belohnt. Die genannten Helden bekamen von der Stadt für ihre Verdienste um die Gesellschaft Bücher und Preisnachlässe im Öffentlichen Nahverkehr.

Italien, so scheint es, hat endlich ein Mittel gefunden, um seine größte Schwäche zu bekämpfen, die allergische Reaktion auf jede Art von Regulierung. Fortan wird nicht mehr bestraft, sondern belohnt. In Trento soll das nach Augenzeugenberichten zu einer regelrechten Explosion von Bürgersinn geführt haben. Fahrradfahrer steigen nun sogar an Fußgängerampeln ab, Autofahrer bremsen gelinde vor Pfützen ab. Denn sie wissen: Hinter jeder Ecke kann ein Verkehrspolizist lauern, der ihnen Punkte auf der städtischen Belohnungs-Skala verschaffen kann. Die 50 Vorbildlichsten im Jahr bekommen Preise. "Allein mit Strafen geht es nicht", hat Bürgermeister Alessandro Andreatta herausgefunden. "Man muss das Beste aus den Leuten herausholen." Die Belohnung soll auch die Übeltäter anstecken.

Jedoch werden in Rom noch einige Regierungskoalitionen zerbrechen müssen, bevor man in der Hauptstadt ungefährdet einen Zebrastreifen überqueren kann. Doch es scheint, als breite sich langsam ein Teppich höchsten Bürgersinns auf dem Stiefel aus. Wer im toskanischen Seebad Forte dei Marmi kompostiert, muss weniger Müllgebühr bezahlen. Mailänder Barbesitzer erhalten kostbare Drucke, wenn sie Spielautomaten aus ihren Etablissements verbannen. Wer in Neapel alle Kommunalabgaben bezahlt, kann mit einer Ermäßigung bei der Kfz-Versicherung rechnen. Auch in Crotone, Foggia, Sorrento wird Gesetzestreue prämiert.

Nur im kleinen Arzignano bei Venedig könnten sich die kulturellen Erzieher verschätzt haben. Wer hier das Fahrrad im Alltag benutzt, der darf auch noch umsonst ins Fitnessstudio. Zu rechnen ist mit einer Bürgerschaft, die bald an den Rand ihrer Kräfte gelangen könnte. Völlig erschöpft vor lauter Zivilisation.

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