Ischgl Vom Après-Ski-Spaß in die Corona-Krise

Ischgl · Schwere Zeiten für Ischgl: Der sonst so beliebte Wintersportort in Tirol ist als eine Keimzelle der Pandemie in Verruf geraten. Zu Recht?

  Eine geschlossene Après-Ski-Bar in Ischgl. In dem Touristen-Ort breitete sich das Virus massiv aus.

Eine geschlossene Après-Ski-Bar in Ischgl. In dem Touristen-Ort breitete sich das Virus massiv aus.

Foto: dpa/Jakob Gruber

Ischgl, das steht eigentlich für Pisten, Schnee, Party. Auf rund 1600 Einwohner kommen mehr als 10 000 Gästebetten und 239 Kilometer Skipiste. „Relax, if you can“ lautet der Marketing-Slogan des kleinen österreichischen Ortes. Die entspannte Stimmung aber ist verflogen. In Ischgl und dem Paznauntal ist zwar Ruhe eingekehrt – doch geredet wird viel.

Die internationalen Schlagzeilen, in denen Ischgl als „Virenschleuder Europas“ bezeichnet wird, beschäftigen die Menschen. „Viele haben Angst“, sagt eine Frau. Es gehe um Existenzen, denn die wichtigste Einkommensquelle im Tal, im gesamten Bundesland Tirol, sei nun mal der Tourismus. Nun sei man bald der Sündenbock der Welt.

Andreas Walser lebt sein ganzes Leben schon in Ischgl. Im Dorf kennt jeder den Arzt mit dem markanten Schnurrbart. Am 7. März führt Walser bei einem Mann in seiner Praxis einen Corona-Test durch. Der Mann ist Barkeeper in einem der angesagtesten Après-Ski-Lokale des Ortes. Dort versammeln sich jeden Abend die Touristen, trinken Bier und feiern ausgelassen. Der Test fällt positiv aus – der Barkeeper ist der erste bestätigte Corona-Fall in Ischgl, laut Recherchen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit aber nicht der erste Virusträger im Ort.

Schon am 5. März erreicht die österreichischen Behörden eine Meldung aus Island. 15 Menschen seien positiv auf das Coronavirus getestet worden, ihre Rückreise aus Ischgl liege bereits einige Tage zurück. Island erklärt Ischgl zum Risikogebiet, die Tiroler Behörden aber nehmen an, dass es im Flugzeug und nicht im Land zur Ansteckung kam. In den Skigebieten wird tagelang weiter gefeiert. Dann, am 13. März, wird über Ischgl und das Tal eine Quarantäne verhängt, allerdings mit der Möglichkeit für Touristen – und damit für das Virus – das Tal zu verlassen. Die Lifte stehen ab 16. März still.

Dem österreichischen Verbraucherschützer Peter Kolba liegen inzwischen mehr als 4000 Meldungen von Menschen vor, die angeben, sich im März in Tirol mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Mehr als 70 Prozent dieser Meldungen kämen aus Deutschland. Und die meisten geben an, in Ischgl gewesen zu sein. „Unser Hauptfokus liegt auf den Behörden, die – so unser Verdacht – langsam gehandelt haben. Wir unterstellen, dass das aus kommerziellen Überlegungen so war“, sagt Kolba kürzlich dem Standard.

„Ich glaube, dass es dringend notwendig ist, zum richtigen Zeitpunkt das Ganze unabhängig aufzuarbeiten“, sagt Ingrid Felipe (Grüne). Sie ist Vize-Landeschefin in Tirol und stört sich am Pauschalurteil, dem das Land derzeit ausgesetzt sei. „Es kann sein, dass es Einzelne gibt, die diese Kritik verdient haben. Aber man erwischt auch viele, die das nicht verursacht haben können.“

Bei Dorfarzt Walser kommen die Anschuldigungen, dass Ischgl für die Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich sei, ebenfalls immer wieder an. „Auch wir haben das Virus geerbt, und auch uns hat dieses Virus getroffen wie aus heiterem Himmel“, meint er. „Das ist uns einfach passiert und wir haben dann versucht, mit allen Mitteln darauf zu reagieren unter den Vorgaben der Behörden.“ In Ischgl sei es wie in anderen Touristenhochburgen: viele internationale Besucher, reger Verkehr auf sehr kleinen Raum. Im kleinen Tiroler Bezirk Landeck, zu dem auch das Paznauntal zählt, gibt es rund 800 Corona-Fälle – im Verhältnis zur Einwohnerzahl ein trauriger Spitzenwert in Österreich.

„Die Neuinfektionen (in Ischgl) reduzieren sich zunehmend“, erklärt Walser. „Man spürt in Tirol ein dezentes Aufatmen“, sagt Landespolitikerin Felipe. Die Quarantäne für alle Tiroler Gemeinden wurde daher aufgehoben – mit Ausnahme von St. Anton, Sölden und dem Paznauntal.

Doch wie kann die Zukunft aussehen? Felipe hofft auf einen Lerneffekt. „Ich glaube schon länger, dass der Tiroler Tourismus sich viel stärker in Richtung eines klima­freundlichen, naturnahen, weniger auf Hüttengaudi und Après Ski und Pistenkilometer ausgelegten Tourismus entwickeln sollte.“ Darüber hinaus hofft sie auf eine etwas rücksichtsvollere Gesellschaft. Es sei jetzt sehr bewusst geworden, dass Menschen, die Erkältungssymptome haben, sich auch wirklich zurückziehen sollten.

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