Immer wieder sonntags
Karlsruhe · Fast 500 Mal „Tatort“: Das tun sich nicht nur hartgesottene Fans, sondern auch Wissenschaftler an. Drei Jahre haben drei Forscher der Deutschen liebsten Krimi unter die Lupe genommen. Ein Ergebnis: Die Serie gibt Geborgenheit.
Die vertraute Titelmelodie, die eisblauen Augen im seit über 40 Jahren unveränderten Vorspann, das Fadenkreuz und endlich: "Tatort". Die quotenstarke Kultkrimireihe läuft schon fast 900 Folgen lang - regelmäßig am Sonntagabend. Was ist daran eigentlich so toll? Das hat sich auch ein Wissenschaftlerteam um den Karlsruher Literaturprofessor Stefan Scherer gefragt. Er kam zu dem Ergebnis, dass die TV-Macher geschickt an das Seriengedächtnis der Zuschauer appellieren. Der "Tatort" bringt für sie ein Stück Geborgenheit ins Wohnzimmer.
Stefan Scherer, seit Jahrzehnten begeisterter "Tatort"-Gucker, knöpfte sich 488 Folgen vor - die nach eigenen Worten bislang umfassendste Studie über dieses Sendeformat. Finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kümmerte er sich mit zwei Kollegen aus Göttingen drei Jahre lang um "Formen und Verfahren der Serialität in der ARD-Reihe "Tatort"". Im September schlossen sie das Projekt ab, die Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten veröffentlicht werden. Beleuchtet wurden die Standorte der Teams, Ermittlerlogiken, Ton- und Bildästhetik, Neben- und Haupthandlung, Rückblenden, Kamerabewegungen und, und, und. Die Wissenschaftler wiesen nach, dass sich die "Tatort"-Folgen über die Sendergrenzen hinweg aufeinander beziehen, voneinander abschauen, sich miteinander vernetzen. "So tauchen zum Beispiel ‚Tatort‘-Kommissare eines Senders bei Teams eines anderen Senders auf." Aber es wird nicht nur Amtshilfe im Film geleistet. Auch Kameraeinstellungen ähneln sich, Ermittlerkonstellationen werden wiederholt; kinofilmartige Ästhetik zieht in den "Tatort" ein mit der Verpflichtung renommierter Regisseure wie Dominik Graf.
Hin und wieder versucht auch ein Sender, das "Tatort"-Team eines anderen Senders nachzuahmen - so geschehen etwa mit den Ermittlern Stellbrink und Marx aus Saarbrücken, die mit "absurder und völlig überdreht grotesker Komik" auf die Quotenkönige Thiel und Boerne aus Münster verweisen. "Mit wenig Erfolg zwar, aber gerade solche Verweise prägen das ‚Tatort‘-Seriengedächtnis des Zuschauers", sagt Scherer.
Der Zuschauer kuschelt sich auf dem vertrauten Sofa bereits gesehener Folgen ein und freut sich auf die nächste. Obwohl als 90-Minuten-Werk in sich abgeschlossen, appelliere der "Tatort" an das Seriengedächtnis der Zuschauer, die jeden Sonntag das Format wiedererkennen und sich geborgen fühlen.
Das liegt auch an den Themen. "Der ,Tatort‘ bildet das gesamte Leben der BRD ab", sagt Scherer. Einfach alles sei beleuchtet worden "von der Intersexualität über Rechtsextremismus bis hin zum Afghanistan-Einsatz". Nur um das Phänomen der Terrorfraktion RAF hätten sich die Sender herumgedrückt. "Das war wohl zu heikel."
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hintergrundDer neue "Tatort"-Ermittler aus Frankfurt heißt Wolfram Koch. Nach dem Abschied von Joachim Król wird der 51-Jährige ab 2014 für den Hessischen Rundfunk auf Spurensuche gehen, bestätigte der Sender am Mittwoch einen Bericht der "Bild". Bekannt ist "der Neue" vor allem als Theaterschauspieler. Vor der Kamera stand Koch zuletzt etwa an der Seite von Veronica Ferres im "König von Deutschland" (2012). dpa