Angeklagte gesteht BVB-Attentat „Ich wollte niemanden töten“

Dortmund · Sergej W. schwieg bislang beharrlich. Am ersten Prozesstag meldet sich der Angeklagte zu Wort – und gibt das Attentat auf den Dortmund-Bus zu.

 Der Angeklagte Sergej W. wollte mit dem Anschlag Geld verdienen.

Der Angeklagte Sergej W. wollte mit dem Anschlag Geld verdienen.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Sergej W. räuspert sich kurz, dann ist es still in Saal 130 des Dortmunder Landgerichts. „Ich bedauere mein Verhalten zutiefst“, sagt der schmächtige 28-Jährige mit tiefer Stimme. „Ich kann es mir selbst nicht erklären.“ Der Angeklagte räumt jetzt ein: Er war es, der am 11. April 2017 drei selbstgebaute Sprengsätze zündete und einen Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund verübte. Und er war es, der mit geliehenem Geld auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie wettete, um reich zu werden. Sergej W. betont jedoch: „Ich wollte niemanden verletzen oder schwer verletzen und erst recht niemanden töten.“

Die Worte des 28-Jährigen sind schwer zu verstehen. Sergej W., der im Alter von 13 Jahren aus Russland nach Deutschland kam und inzwischen nur noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, spricht mit hartem Akzent. Die Sprengsätze, die er in einer Hecke am Teamhotel versteckte und in dem Moment zur Detonation brachte, als der vollbesetzte Mannschaftsbus gerade zum Champions-League-Spiel gegen AS Monaco abgefahren war, will der Angeklagte „absichtlich so konzipiert“ haben, „dass keine Personenschäden zu erwarten waren“. Tatsächlich wurde im Inneren des Busses Profi Marc Bartra schwer am Arm verletzt. Ein Motorrad-Polizist erlitt ein Knalltrauma, ist bis heute dienstunfähig.

Sergej W. hat im Prozess vor dem Dortmunder Schwurgericht kein Geständnis im Sinne der Anklage abgelegt. Oberstaatsanwalt Carsten Dombert wirft ihm unter anderem 28-fachen Mordversuch vor. Rechtsanwalt Alfons Becker, der die Dortmunder Spieler im Prozess vertritt, hält die Erklärung des Angeklagten, er habe einen Anschlag nur vortäuschen wollen, für „nicht vorstellbar“.

Verteidiger Carl Heydenreich schildert später die angeblichen Hintergründe der Tat. Geradezu lebensmüde sei sein Mandant im Frühjahr 2017 gewesen. Seine Lebensgefährtin habe sich trennen wollen, da habe Sergej W. keinen Sinn mehr in seinem Leben gesehen. Mit den Bomben habe der 28-Jährige „realitätsnah einen ernsthaften Anschlag darstellen“ wollen, um mit den zuvor erworbenen Optionsscheinen von einem fallenden Aktienkurs zu profitieren, sagt der Verteidiger. „Er wollte seinen Eltern etwas hinterlassen, falls er aus dem Leben scheiden würde.“

Als die Optionsscheine am Tag nach dem Anschlag und dem abgesagten Fußballspiel verkauft wurden, war auf dem Depot des Angeklagten statt der erhofften Million nur ein Gewinn von knapp 5800 Euro aufgelaufen. Nach Angaben eines der damaligen BKA-Ermittlungsführer befand sich Sergej W. aber schon zu diesem Zeitpunkt im Visier der Fahnder. Ein BVB-Fan und Börsen-Insider aus Österreich habe schon früh einen Hinweis auf auffällige Käufe von Optionsscheinen gegeben, berichtet der Zeuge im Prozess. Schließlich sei ein detailliertes Bewegungsprofil des Angeklagten erstellt worden.

Demnach reiste Sergej W. am 9. April nach Dortmund. Im Mannschaftshotel soll er dann ausdrücklich nach einem Zimmer mit Blick auf den Parkplatz gefragt haben. Zum Zeitpunkt des Anschlags müsse sich der 28-Jährige in seinem Zimmer aufgehalten haben. Kurz darauf sei er ins Hotelrestaurant gegangen und habe ein Steak bestellt. „Er fiel der Kellnerin auf, weil er der einzige Gast war, der locker über den Vorfall reden wollte“, sagt der Beamte.

Die Metallstifte, mit denen der Attentäter die Sprengsätze gespickt hatte, waren offenbar „handgefertigt“. Ein physikalischer Gutachter habe später errechnet, dass die Geschosse ab einer Aufprallenergie von 79 Joule hätten töten können. Tatsächlich hätten die Stifte eine Energie von 135 Joule entfaltet.

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