„Ich war nicht im Himmel“

Washington · Von einer wahren Begebenheit war die Rede – jetzt zieht der Verlag den Nahtod-Bestseller „Der Junge, der vom Himmel zurückgekommen ist“, der millionenfach verkauft wurde, aus dem Verkehr. Grund: Die Geschichte ist erfunden.

Der Buchtitel machte neugierig: "Der Junge, der vom Himmel zurückgekommen ist". Versprochen wurde ein "bemerkenswerter Bericht über Wunder, Engel und Leben jenseits dieser Welt". Doch der Bestseller verschwindet aus den Buchläden. Der im Titel genannte Junge korrigierte nämlich vor wenigen Tagen, er sei gar nicht im Himmel gewesen: alles erfunden. Der Verlag Tyndale House teilte mit, wegen dieser "neuen Information" ziehe man das Buch aus dem Verkehr.

Die laut Verlag "wahre Geschichte " war ein Hit. Mehr als eine Million Exemplare sind angeblich seit 2010 verkauft worden. Nahtod-Bücher sind ein gutes Geschäft in den USA. Ein Film über den vierjährigen Pastorensohn Colton Burpo im Himmel hat vergangenes Jahr mehr als 50 Millionen Dollar eingespielt. Die Autoren von "Der Junge, der vom Himmel zurückgekommen ist" heißen Kevin und Alex Malarkey. Kevin, ein "christlicher Therapeut" im Bundesstaat Ohio, ist der Vater, Alex sein Sohn. Die beiden erzählen, was passiert sei nach ihrem Verkehrsunfall im November 2004: Kevin wird aus dem Auto geschleudert, Rettungskräfte befreien Alex aus dem Wrack, sein Genick ist gebrochen.

"Dann ging ich durch einen langen weißen Tunnel", zitiert das Buch Alex. Im Himmel sei die Musik überwältigend schön gewesen. Überhaupt der Himmel. Viele Gebäude, darunter ein Tempel, den Gott nie verlasse. Lobpreisende Engel. Alle möglichen Figuren aus der Bibel. Wunderbar. Gott habe zu Alex gesagt, er werde ihn nach seiner Rückkehr auf Erden heilen, "um seinem Namen mehr Ruhm zu bringen".

Es war ein ungleiches Autorenpaar. Alex war beim Unfall sechs Jahre alt, bei der Buchveröffentlichung zwölf. Nach zwei Monaten im Koma habe Alex von seinen Himmelserfahrungen berichtet. Kevin Malarkey schrieb auf - und zog später durch Talkshows und Kirchen. Alex ist heute nahezu vollständig gelähmt. Familienvideos zeigen einen schmächtigen Teenager im Rollstuhl.

Doch nun hat sich Alex zu Wort gemeldet, und zwar auf der fundamentalistischen Webseite pulpitandpen.org, wo man die Unfehlbarkeit der Bibel predigt. "Ich habe gesagt, dass ich in den Himmel ging, weil ich dachte, ich würde damit Aufmerksamkeit erregen", postete Alex in seinem offenen Brief an sogenannte "Vermarkter des Himmel-Tourismus". Mutter Beth Malarkey unterstützt ihren Sohn. Man habe ihn ausgenutzt, sagte sie bereits im Frühjahr 2014 in einem Rundfunkinterview.

Kevin Malarkey hält sich bedeckt. Ein Kommentar von ihm zur Aussage seines Sohns ist nicht bekannt, E-Mails bleiben unbeantwortet. Doch Malarkey hat ein neues Buch geschrieben: "Eine wunderschöne Niederlage. Wie man Freiheit und Sinn findet durch totale Hingabe an Gott". Gott sei für alle da, schreibt Malarkey, auch für ihn selber. Und er sei schuld an "einem Unfall, der eines meiner Kinder gelähmt hat".

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