"Ich kann meine Kühe nicht zurücklassen" Japans Kaiser spendet den Opfern Trost

Tokio. Das Leben in Iitate war bisher beschaulich. Die Bauern bereiteten sich auf die nächste Gemüseernte vor. Der Kulturverein der Gemeinde empfahl neue Wanderwege, auf denen man das Frühlingserwachen so richtig genießen sollte. Die Erdbebenkatastrophe vom 11. März hat alles verändert. Nun laufen Menschen mit Geigerzählern in weißen Schutzanzügen durch die leeren Straßen

 In einem Schutzanzug misst ein Greenpeace-Mitarbeiter die radioaktive Strahlung in Iitate. Foto: dpa

In einem Schutzanzug misst ein Greenpeace-Mitarbeiter die radioaktive Strahlung in Iitate. Foto: dpa

Tokio. Das Leben in Iitate war bisher beschaulich. Die Bauern bereiteten sich auf die nächste Gemüseernte vor. Der Kulturverein der Gemeinde empfahl neue Wanderwege, auf denen man das Frühlingserwachen so richtig genießen sollte. Die Erdbebenkatastrophe vom 11. März hat alles verändert. Nun laufen Menschen mit Geigerzählern in weißen Schutzanzügen durch die leeren Straßen. Das Gemeindebüro wurde zum Krisenzentrum. Dort gibt ein Infoblatt Auskunft über die Strahlenbelastung.Der Bürgermeister des Ortes, Norio Kanno, hat derzeit mehr Fragen als Antworten. "Wie konnte es dazu kommen?", fragt Kanno mit Blick auf die hohen Strahlenwerte in seiner Gemeinde. Und: "Wir haben von der Regierung in Tokio keine Antworten bekommen.", sagte er der Zeitung "Asahi".

"Natürlich machen sich hier alle Sorgen. Aber die Leute wissen nicht, ob sie gehen oder bleiben sollen", sagte ein Gemeinde-Mitarbeiter gestern am Telefon. Sein Ort liegt etwa 40 Kilometer von der Atomruine Fukushima entfernt. Vor etwa zehn Tagen ergaben Messungen im Trinkwasser des Dorfes einen deutlich erhöhten Wert für radioaktives Jod. Anfang der Woche war der Jod-Wert, wie auf dem Infoblatt steht, aber wieder unter dem japanischen Grenzwert von 300 Becquerel pro Liter gesunken.

Doch am Mittwoch hatten die Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien Alarm geschlagen: Man solle sich eine Evakuierung des Dorfes "wirklich überlegen". Denn die Strahlungswerte seien sehr hoch gewesen. Noch deutlicher waren die Warnungen der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Strahlenexperte Jan van de Putte sagte: "Die Regierung muss sofort tätig werden und zuerst Kinder und Schwangere aus dem Dorf Iitate evakuieren." Am 15. März war laut Greenpeace eine radioaktive Wolke über Iitate gezogen. Seitdem sinken die gemessenen Werte zwar wieder - aber grade die Langzeitwirkung birgt bei Radioaktivität Gefahren. Etwa ein erhöhtes Krebsrisiko. Die Umweltschützer maßen in dem Ort eine Strahlung von bis zu zehn Mikrosievert pro Stunde.

In Tokio wird nur zögerlich auf die Warnungen reagiert. "Die Strahlungswerte in Iitate liegen nicht über den japanischen Grenzwerten für eine Evakuierung", teilte die Atomsicherheitsbehörde gestern mit. Die Bewohner könnten "beruhigt sein". Regierungssprecher Yukio Edano schlug vor, die Messungen zu verstärken. Bisher gilt nur ein Gebiet von 20 Kilometern um Fukushima Eins als Evakuierungszone. Eine Ausdehnung lehnte Edano jedoch vorerst ab.

"Ich bin mit meinem Latein allmählich am Ende", sagte der Gemeindearbeiter. Niemand wisse, ob es wegen der Strahlung überhaupt noch sicher sei, in Iitate zu bleiben. Außerdem sind Lebensmittel und Kraftstoffe knapp. Nach japanischen Medienangaben haben etwa die Hälfte der Bewohner Iitate bereits verlassen. Aber gerade ältere Menschen und Bauern zögern. "Ich habe Angst. Ich weiß nicht, ob es okay ist, hierzubleiben. Aber ich kann meine Kühe nicht zurücklassen", sagte ein 60-jähriger Bauer der Zeitung "Mainichi Shimbun". Seine Kinder und sein Eltern habe er aber bereits aus der Gegend fortgeschickt.

Tokio. Der japanische Kaiser Akihito steht den Opfern der verheerenden Katastrophe im Nordosten des Landes mit Gesten der Solidarität bei. Erstmals traf er zusammen mit seiner Gemahlin Michiko Überlebende der Katastrophe.

In Tokio nahm sich der Monarch eine Stunde Zeit, um etwa 290 Flüchtlingen Trost zu spenden. Um auf Augenhöhe mit den Menschen zu sprechen, kniete sich der 77-jährige Kaiser würdevoll vor den Opfern hin und widmete sich ihnen im ruhigen Gespräch. Mitfühlend sprach der beliebte Monarch den Betroffenen Mut zu. Nicht mit großen Worten rührt der Kaiser derzeit sein Volk, sondern mit bescheidenen Gesten. So ließ er Baderäume in der kaiserlichen Villa im ostjapanischen Ort Nasu für Opfer des Erdbebens öffnen. dpa

"Natürlich machen sich hier alle Sorgen. Aber die Leute wissen nicht, ob sie gehen oder bleiben sollen."

Ein Gemeindearbeiter aus Iitate

Am Rande

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat internationale Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke gefordert. Die Atombehörden der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) sollten darüber beraten, sagte Sarkozy gestern in Tokio. Auf der Rückreise von einer internationalen Währungskonferenz in China hatte Sarkozy als erster ausländischer Staatschef nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrope Japan besucht.

 Das japanische Kaiserpaar (rechts) bei den Opfern. Foto: dpa

Das japanische Kaiserpaar (rechts) bei den Opfern. Foto: dpa

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) reist morgen nach Japan. Er wolle bei seinem eintägigen Besuch in Tokio seine Solidarität mit den Japanern bekunden, hieß es aus Regierungskreisen. Derzeit hält sich Westerwelle in Peking auf, wo er heute mit seinem chinesischen Amtskollegen zusammentrifft. dpa/afp

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