Höher, schneller, weiter

Berlin. In 80 Tagen um die Welt? Das ist Science Fiction von vorgestern. Vor zehn Jahren am 2. Juli 2002 hat es Rekordjäger Steve Fossett im Heißluftballon in 13 Tagen um die Erde geschafft, 2006 im Leichtflugzeug in etwa 74,5 Stunden. Verrückt? Nein, sagen Wissenschaftler. Die Lust am Rekord sei nur allzu menschlich

Berlin. In 80 Tagen um die Welt? Das ist Science Fiction von vorgestern. Vor zehn Jahren am 2. Juli 2002 hat es Rekordjäger Steve Fossett im Heißluftballon in 13 Tagen um die Erde geschafft, 2006 im Leichtflugzeug in etwa 74,5 Stunden. Verrückt? Nein, sagen Wissenschaftler. Die Lust am Rekord sei nur allzu menschlich. Jenseits von lebensgefährlichen Abenteuern oder sportlichem Wettstreit beobachten sie eine zunehmende Lust an Höchstleistungen - und sei es in Disziplinen wie Nacktrodeln, Gummistiefelweitwurf oder Bürostuhlrennen. Fernsehen und Internet befeuerten den Ehrgeiz.Höher, schneller, weiter? Peter Walschburger, Biopsychologe an der Freien Universität Berlin, wundern solche Maximen nicht. Ihre evolutionären Wurzeln lägen bei den Jägern und Sammlern der Frühen Steinzeit, als der Sieg im Überlebenskampf zählte. "Wir sind alle Nachfahren von Wettbewerbsgewinnern", sagt Walschburger. "Die Lust am Rekord steckt in den Genen, vor allem bei Männern."

Denn Frauen seien genetisch eher auf Nachhaltigkeit programmiert, auf soziale Verantwortung und das Versorgen von Kindern. Bei Männern aber könne der Reiz des Risikos bisweilen jede Vernunft ausschalten. Das hat Gründe: Wer bei Extremleistungen erfolgreich sei, habe auch ein extremes Glücksgefühl erlebt, erzählt Walschburger. Das wolle ein Mensch immer wieder fühlen, ein Effekt, der an die Abhängigkeit von Drogen erinnere. Steve Fossett ist ein Prototyp. Er hat nichts ausgelassen: Ärmelkanal durchschwimmen, Autorennen, segeln, fliegen.

Heute geht es aber nicht mehr allein um Höchstleitungen, die langes Training und Erfahrung voraussetzen. Der schnelle, spektakuläre Rekord für Jedermann liegt im Trend. Fernsehformate wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Ich bin ein Star - hol mich hier raus" setzten zwar das Niveau herab, sagt Walschburger. Sie böten aber gleichzeitig neue Verführungen zu Geld und Ruhm. "Der Mensch hat ein starkes Geltungsbedürfnis", betont der Professor. "Und das Internet mit YouTube transportiert jedes Ohrenwackeln in die Welt."

Für den Hamburger Trendforscher Peter Wippermann spielt bei der Lust am Rekord auch eine Tendenz zur Quantifizierung des Lebens eine Rolle. "Rankings verkürzen komplexes Erzählen auf eine mathematische Gleichung", sagt er. Das verspreche Orientierung. Auch nach Wippermanns Empfinden nehmen Spaßrekorde zu. Der Schlüssel für ihn ist dabei immer die Suche nach Anerkennung. An der Berliner Humboldt-Universität glaubt Persönlichkeitspsychologe Jens Asendorpf dagegen nicht, dass der Spaßfaktor heute die Lust an Rekorden verstärkt. "Eine Olympiade gab es schon bei den alten Griechen", sagt er. "Der Mensch hat immer gespielt, wenn er es sich leisten konnte." Der Unterschied sei eher, dass Rekorde durch moderne Medien eine viel größere Zahl an Zuschauern erreichen könnten. "Dadurch nimmt die soziale Belohnung zu", sagt er.

 In einem Heißluftballon umrundete Steve Fossett vor zehn Jahren die Erde. Er brauchte dafür 13 Tage. Fotos: dpa

In einem Heißluftballon umrundete Steve Fossett vor zehn Jahren die Erde. Er brauchte dafür 13 Tage. Fotos: dpa

 In einem Heißluftballon umrundete Steve Fossett vor zehn Jahren die Erde. Er brauchte dafür 13 Tage. Fotos: dpa

In einem Heißluftballon umrundete Steve Fossett vor zehn Jahren die Erde. Er brauchte dafür 13 Tage. Fotos: dpa

Zudem betont Biopsychologe Walschburger, das Ausloten und Überschreiten von Grenzen bringe den Menschen weiter. Das gelte für Astronauten wie für große Denker à la Albert Einstein. Die Kunst sei es, die Extremsituationen zu überlebt. Das hat Steve Fossett nicht geschafft. Er stürzte 2007 mit 63 Jahren im Flugzeug ab.

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