Höchststrafe für den "Maskenmann"Die Chronologie der Ereignisse
Stade. Martin N. nimmt sein Urteil äußerlich unbewegt auf, als ihn der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp und seine Richterkollegen am Landgericht Stade gestern wegen dreifachen Mordes und mehrfachen sexuellen Missbrauchs zu lebenslanger Haft verurteilen und zusätzlich noch eine Sicherungsverwahrung verhängen. Außerdem erkennen sie eine besondere Schwere der Schuld
Stade. Martin N. nimmt sein Urteil äußerlich unbewegt auf, als ihn der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp und seine Richterkollegen am Landgericht Stade gestern wegen dreifachen Mordes und mehrfachen sexuellen Missbrauchs zu lebenslanger Haft verurteilen und zusätzlich noch eine Sicherungsverwahrung verhängen. Außerdem erkennen sie eine besondere Schwere der Schuld. Sie haben keine Zweifel daran, dass der ehemalige Jugendbetreuer der "Maskenmann" ist - jenes vermummte und jahrelang nicht zu fassende Phantom, das in Schullandheime, Zeltlager und Wohnungen eindrang, um Jungen zu missbrauchen und von denen er drei erwürgte.Regungslos bleibt N. auch, als sich Appelkamp am Ende mit persönlichen Worten direkt an ihn und die im Gerichtssaal versammelten Angehörigen der Opfer wendet. "Es ist sehr, sehr, sehr traurig", sagt der Richter mit Blick auf die Verbrechen von N. und das Schicksal der Hinterbliebenen.
Zugleich warnt Appelkamp vor einer Dämonisierung des Angeklagten. "Sie sind und bleiben ein Mensch", betont der Richter, wohl wissend um die Emotionen, die die Taten bei einigen geschürt haben. Das Wort "Kreatur", das der Vater eines der von ihm getöteten Jungen in dem Prozess für N. verwendet habe, sei einem "leidenden Vater" zwar nachgesehen, habe in einem Gerichtssaal allerdings nichts verloren.
Zwischen 1992 und 2001 ereignen sich die Verbrechen, wegen der N. schuldig gesprochen wird. Darunter sind neun Missbrauchstaten. Angeklagt waren anfangs mehr. Einige Verfahren wurden aber eingestellt, nicht immer ließ sich nach all den Jahren sicher feststellen, was wann und wo passierte. N. war erst im April vergangenen Jahres durch die Aussage eines Missbrauchsopfers überführt worden. Die ersten Taten waren da schon 19 Jahre her.
Das entscheidende rechtliche Gewicht haben ohnehin die drei Morde jener Jungen, die der von einem Gerichtsgutachter als krankhaft pädophil und schizoid eingestufte Angeklagte bei seinen Übergriffen aus Angst vor Entdeckung tötete. Das Gericht folgt dem Experten am Ende in der Einschätzung, dass N. nur schwer zum Mitfühlen mit anderen Menschen in der Lage ist und seine Opfer tötete, weil er um die "Ächtung" seiner sexuellen Neigung zu Jungen wusste und eine Entdeckung "mit allen Mitteln" verhindern wollte.
Die Richter folgen dem Gutachter auch darin, dass N. trotz seiner schizoiden Züge schuldfähig war, als er den 13-jährigen Stefan J., den achtjährige Dennis R. und den neunjährigen Dennis K. erwürgte, weil sie laut wurden oder weil er befürchtete, sie könnten ihn identifizieren. Und sie folgen ihm auch darin, N. für rückfallgefährdet zu halten, ganz so wie es auch die Staatsanwaltschaft in ihren Plädoyer betonte. Was das Urteil gegen den "Maskenmann" für die Eltern der Opfer nach Jahren der Ungewissheit bedeutet, lässt sich nur erahnen. Richter Appelkamp sagt zum Ende, er hoffe, dass sie nach der Verurteilung des Täters "ein gewisses Maß an Abschluss und Ruhe" finden. Die Betroffenen selbst äußern sich nur über ihre Anwälte. Bei ihrer Mandantin gebe es "Erleichterung, in erster Linie Erleichterung", sagte die Anwältin der Mutter des kleinen Dennis K.31. März 1992: Stefan (13) verschwindet aus einem Internat in Scheeßel. Fünf Wochen später finden Spaziergängerinnen seine Leiche bei Verden.
24. Juli 1995: Der achtjährige Dennis R. wird aus einem Zeltlager in Schleswig-Holstein entführt. Später findet ein Jogger die Leiche des Jungen nahe der dänischen Stadt Holstebro.
5. September 2001: Dennis K. (neun) verschwindet aus einem Schullandheim nahe Cuxhaven. Zwei Wochen später finden Pilzsammler seine Leiche. Die Soko "Dennis" wird eingerichtet.
10. Februar 2011: Fast zehn Jahre nach dem Tod von Dennis gibt es neue Hinweise zu den drei Morden. Die Polizei wendet sich über die Presse an die Öffentlichkeit.
13. April: In Hamburg nehmen Ermittler den aus Bremen stammenden Pädagogen Martin N. fest. Einen Tag später gesteht er die drei Morde.
15. Juli: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Martin N. wegen dreifachen Mordes und sexuellen Missbrauchs in 20 Fällen.
10. Oktober: Prozessbeginnvor dem Landgericht Stade.
26. Oktober: N. gesteht vor dem Landgericht drei Morde und einige Missbrauchsfälle.
9. Januar 2012: Ein psychiatrischer Gutachter stuft Martin N. als rückfallgefährdet ein.
25. Januar: Die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haftstrafe samt anschließender Sicherungsverwahrung.
13. Februar: Die Nebenkläger fordern ebenfalls Höchststrafe.
15. Februar: Die Verteidigung fordert ebenfalls lebenslange Haft, hält eine anschließende Sicherungsverwahrung aber nicht für nötig. dpa
"Erleichterung,
in erster Linie Erleichterung."
Die Anwältin der Mutter
eines Opfers
Hintergrund
Die höchste Strafe in Deutschland ist die lebenslange Haft, sie wird bei Mord zwingend verhängt. Sie kann frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Wenn das Gericht eine besondere Schwere der Schuld feststellt, war die Tat besonders verwerflich oder das Opfer erlitt große Qualen. Um die Gesellschaft vor besonders gefährlichen Straftätern zu schützen, kann das Gericht mit dem Urteil eine anschließende Sicherungsverwahrung anordnen.
Diese Praxis ist laut Europäischen Gerichtshof verfassungswidrig. Bis zum 31. Mai 2013 muss der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung neu regeln. So lange gilt das bestehende Recht, jedoch mit strikter Einzelfallprüfung und klarer therapeutischer Ausrichtung. dpa